Gefährliches Talent: Kriminalroman
vom düpierten Kollegen durchackern mussten.
Sie seufzte. Die Kopfschmerzen wurden schlimmer, fast so schlimm, dass sie etwas einnehmen wollte, aber ansonsten genoss sie es, einfach an einem warmen, lichtdurchfluteten Ort zu sitzen, insbesondere nach den letzten trüb-grauen Tagen in Seattle. War sie wirklich einen Tag vorher um die gleiche Zeit noch in Seattle gewesen – unschuldig, aufgeregt und glücklich? Unvorstellbar. Sie schloss die Augen, um besser dem sanft-melodischen Plätschern des Brunnens lauschen zu können …
Dann schreckte sie plötzlich auf. Moment mal! Wer sagte denn, dass sie nichts tun konnte? So schnell würde sie sich nicht geschlagen geben. Und wer sagte, dass sie die Ermittlungen ganz allein der Polizei überlassen musste? Das wäre keine gute Lösung. Erstens hatten die Scheuklappen auf und zweitens hatten sie null Ahnung, wie man Nachforschungen über ein Bild anstellt. Außerdem war es ihnen auch vollkommen egal. Aber sie hatte Ahnung und ihr war’s nicht egal und sie konnte ihre Fähigkeiten einsetzen. Falls das Bild der Grund für alles war, wer wäre besser geeignet zu ermitteln als Alix London?
Am besten fing sie direkt an diesem Morgen hier in Santa Fe an – und zwar im Archiv des Southwest Museum of Twentieth-Century American Art, das ganz in der Nähe lag. Clyde Moody,der Archivar des Museums, hatte beim Empfang am Vorabend erwähnt, dass dort Ausstellungskataloge von bedeutenden Galerien aus ganz New Mexico aufbewahrt wurden. Wenn die Galería Xanadu mit einem O’Keeffe-Bild gehandelt hatte, war sie doch per Definition bedeutend, und aller Wahrscheinlichkeit nach wurde das Bild in einem ihrer Kataloge aufgeführt. Dort würden auch Hintergrundinformationen zu finden sein, und je mehr sie über das Bild erfuhr, desto zuverlässiger könnte sie ihre Intuition einsetzen. Aber wie lange reichte das Archiv zurück und wann war das Gemälde in der Galería Xanadu ausgestellt worden? Vor 1964 konnte es nicht gewesen sein, denn das war das vermeintliche Entstehungsjahr des Bildes. Andererseits …
Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Warum saß sie grübelnd hier herum, wenn sie nur anrufen musste, um alles aus erster Hand zu erfahren? Sie ließ ihren kaum angerührten Kaffee stehen, ging in die Lobby, suchte die Telefonnummer des Museums heraus, gab sie in ihr Handy ein und ließ sich mit dem Archiv verbinden.
Moody ging selbst dran. »Archiv.« Er klang besorgt, geistesabwesend und als wäre er verärgert, dass man ihn bei irgendeiner nervtötenden Archivarbeit störte.
»Mr Moody? Hier ist Alix London. Wir haben gestern kurz in der Blue Coyote Gallery miteinander geredet.«
Sie machte eine Pause, damit er sagen konnte: »Ach ja, wie geht’s denn so?«, oder etwas in der Art, aber er blieb stumm. Sie konnte das Kratzen eines Stifts hören. Er arbeitete offensichtlich beim Telefonieren weiter.
»Ich bin Kunstberaterin«, sagte sie (zum ersten Mal in ihrem Leben und wahrscheinlich auch zum letzten), »und ich würde heute gern ins Archiv kommen, wenn das geht. Ich arbeite für Ms LeMay, die Sie gestern Abend auch kennengelernt haben. Sie wollte das O’Keeffe-Bild von Liz Coane kaufen. Ich dachte, ich frage besser erst mal telefonisch nach, ob …Mr Moody, sind Sie noch dran?«
»Ich bin noch dran, ja«, sagte er. Sie konnte sein genervtes Stöhnen und das Klappern seines hingeworfenen Stifts hören. »Ms London, was genau kann ich für Sie tun?«
Alix musste ihren eigenen Ärger hinunterschlucken. Sie war schon öfter Leuten wie dem reizbaren Mr Moody begegnet, Museumsarchivaren und Kunstbibliothekaren, die die ihrer Obhut anvertrauten Objekte als ihr persönliches Eigentum betrachteten und richtig ärgerlich wurden, wenn Fachleute (für die diese Sammlungen doch eigentlich bestimmt waren) doch tatsächlich die Stirn hatten, sie bei ihren banalen, aber penibel ausgeführten kleinen Routinearbeiten zu unterbrechen, und darum baten, das Archiv nutzen zu können.
Manche Leute …
, dachte sie. »Ich interessiere mich für alles«, sagte sie möglichst freundlich, »was mit der Galería Xanadu in Albuquerque zu tun hat …«
»Ich kenne mich mit den Galerien in Albuquerque bestens aus und da gibt’s keine Galería Xanadu.«
»Vielleicht nicht mehr …«
»Ganz sicher nicht mehr, falls es sie je gegeben hat.«
»… aber ich habe gehofft, das Archiv würde so weit zurückreichen, dass die Galerie noch zu finden ist.«
»Das Archiv geht zurück bis ins
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