Gefährliches Talent: Kriminalroman
Kritzeleien. Eine der Tintenkritzeleien war die erwartete »Signatur«, ein einfaches »OK«, von einem Stern mit fünf Spitzen umgeben. Das bewies gar nichts. Im Grunde wäre eine
fehlende
Signatur eher ein Indiz für die Echtheit des Bildes gewesen. Nichts auf der Welt war so einfach zu fälschen wie die Initialen von Georgia O’Keeffe, undwährend viele berühmte Künstler ihre Werke nicht immer signierten, würde kein
Fälscher
eines berühmten Künstlers im Traum daran denken, eins seiner Werke unsigniert zu lassen.
Unvermittelt kam ihr dabei eine Begebenheit in den Sinn, von der sie gehört hatte, und sie musste lächeln. Ein kleines, aber feines Museum in Europa wollte ein El-Greco-Gemälde mit der typisch gewundenen Linienführung kaufen, das unten rechts die auffällig große Signatur »El Greco« aufwies. Dann wies jemand darauf hin, dass El Greco, »der Grieche«, seine Bilder natürlich mit seinem richtigen Namen, Doménikos Theotokópoulos, signierte, und zwar in griechischen Lettern.
Die beiden Männer reagierten mit fragenden Blicken auf ihr Lächeln, also setzte sie schnell wieder ein ernstes Gesicht auf und konzentrierte sich auf ihre Untersuchung. Die Stempel waren größtenteils unleserlich, aber eins der zwei Etiketten stammte von einer Galerie:
Galería Xanadu, 1421 Central Avenue NE, Albuquerque, NM
. Also hatte das Bild doch eine Geschichte. Irgendwann einmal hatte es ein Aktionshaus oder eine Galerie namens Galería Xanadu durchlaufen. Sehr interessant. Dem wollte sie nachgehen. Sie lieh sich vom Detective Stift und Notizblock und schrieb die Adresse auf.
Das andere Etikett klebte genau in der Mitte der Rückseite:
Felsen auf der Ghost Ranch, Georgia O’Keeffe, 1964.
Sie dachte einen Moment darüber nach und wandte sich dann an de Beauvais. »Sie haben dieses Etikett schon gesehen, nicht wahr? Deshalb waren Sie so sicher, was das Jahr und alles andere angeht. Sie haben es bei Liz im Büro gesehen, stimmt’s?«
Blinzelnd sah er sie an und spielte die gekränkte Unschuld. »Aber nein, ich versichere Ihnen, ich habe dieses Etikett noch nie zuvor gesehen.«
»Okay, dann hat sie Ihnen den Titel genannt.«
»Nein, hat sie nicht. Und ich muss sagen, dass ich Ihre Unterstellungen ziemlich unverschämt finde. Also ehrlich!«
Sie ignorierte ihn geflissentlich und wandte sich an Hooper: »Vielleicht irre ich mich ja, aber ich halte es für eine Fälschung.Geben Sie mir ein paar Tage Zeit, dann kann ich einen eindeutigeren Befund abgeben. Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich jetzt gehen.«
»Meinetwegen«, sagte Hooper. »Aber bitte bleiben Sie noch ein paar Tage in der Nähe. Wir wollen vielleicht noch mal mit Ihnen reden.«
»In Ordnung. Lieutenant Mendoza hat meine Handynummer.«
Hooper stand auf, um sie hinauszulassen, und an der Stahl-gittertür, außerhalb von de Beauvais’ Hörweite, sagte sie: »An Ihrer Stelle würde ich den nicht allein da drin lassen, Detective.«
Hooper nickte ernst. Sie sah, wie hinter ihm de Beauvais noch immer mit rätselhaftem Stirnrunzeln das Bild betrachtete.
KAPITEL 10
Zwanzig Minuten später, als Ted im El Cañon, dem Coffeeshop des Hilton, saß, hatte er immer noch dieses Stirnrunzeln im Gesicht. Vor ihm stand unberührt ein großer Cappuccino, der langsam kalt wurde. Er trommelte sachte mit den Fingern auf dem Tisch herum, während er seine Einschätzung überdachte, von deren Richtigkeit er bis vor einer Stunde überzeugt gewesen war.
Die Begegnung in der Asservatenkammer hatte alles auf den Kopf gestellt. Er hatte von Anfang an vermutet, dass es sich bei dem Bild um eine Fälschung handelte, und seine Ahnung wurde zur felsenfesten Überzeugung, als er erfuhr, dass diese London in die Sache verwickelt war. Er hatte das Bild zwar am Vortag kurz in Liz’ Büro gesehen, das hatte jedoch nichts an seiner Meinung geändert. Aber an diesem Morgen hatte er die Gelegenheit gehabt, das Bild eingehend zu untersuchen, und da war er sich plötzlich gar nicht mehr so sicher gewesen. Das Gemälde war besser, als es auf den ersten Blick den Anschein gehabt hatte: Es war auf faszinierende Weise atmosphärisch und besaß die unverwechselbare Handschrift, die, wie er bei einem früheren Fall gelernt hatte, nur die von Georgia O’Keeffe sein konnte. Von keinem anderen.
War es also doch echt? Obwohl die London das Gegenteil behauptete, neigte er jetzt dazu, an die Echtheit des Bildes zu glauben. Es spielte aber auf jeden Fall eine Rolle bei irgendeinem
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