Gefaehrten der Finsternis
seinem
Zaumzeug schien ihn zu verspotten. Und wenn Lyannen dieses andere Amulett nicht mitgenommen hatte? Und wenn sich auf dem Stein mit der Inschrift vielleicht kein prophetischer Zauber befand? Und wenn alles nur ein Betrug, nur eine Täuschung war? Genau genommen war Theresian schließlich ein Halbdämon.
Während er anfing, allem und jedem zu misstrauen, fing die Schlange an zu leuchten. Nicht so plötzlich, wie wenn man eine Kerze entzündet, wenn die Glut des Zunders den Docht entflammt, sondern allmählich. Zunächst war es nur ein sachtes Glimmen, so leicht, dass Slyman es nicht einmal bemerkte. Doch dann wurde die Steinschlange ständig heller, bis sie in einem so gleißenden Licht erstrahlte, dass es in den Augen schmerzte. Die schwarzen Runen stachen so grell aus dem klaren Weiß hervor, als hätte jemand Tinte über die eingeritzten Lettern gegossen.
Slyman richtete seinen Blick auf den Horizont, beinahe als erwarte er dort Lyannen zu sehen, der auf Tod und Leben mit seinem Erzfeind kämpfte. Stattdessen erblickte er eine Tür. Nein, wenn er jetzt darüber nachdachte, war das eigentlich keine Tür gewesen, aber in dem Moment war ihm kein anderer Begriff eingefallen, um die Öffnung zu beschreiben. Es war mehr ein langer Riss, aus dem Licht hervorquoll. Die Schlange aus Stein funkelte, als würde in ihr ein kaltes Feuer brennen, und Slyman wusste instinktiv, dass er durch diese Tür schlüpfen musste, wohin auch immer sie ihn führen würde. Und ohne lange zu überlegen, schwang er sich von seinem Pferd, das sich weigerte, ihm zu folgen, ließ die prophetische Schlange, die ihm ein Zeichen gegeben hatte, am Zaumzeug hängen und sprang praktisch durch den Riss hindurch.
Er erinnerte sich nur sehr vage daran, wie er Lyannen zu Füßen der Finsternis hatte liegen sehen, wie er auf ihn zugelaufen war und seinen Namen gerufen hatte, wie er an seine Seite gestürzt war und die Finsternis mit einem überraschenden Mut angesprochen hatte - einem Mut, der allein seiner Verzweiflung
entsprang. Doch an eines erinnerte er sich sehr genau - und zwar daran, was er empfunden hatte bei den Worten der Finsternis: dass es gegen den Schlag, der jetzt kommen würde, keinen Schutz gab und kein Mittel, dem Tod zu entkommen. Er hatte den Anhänger des Ewigen umklammert, in der Hoffnung, dass der ihm helfen könnte, und um im letzten Moment seines Lebens die Anwesenheit desjenigen zu spüren, der ihm darin alles gewesen war.
Doch plötzlich hatte sich der Anhänger erwärmt, sich so stark erhitzt, dass er sich bei der Berührung die Hände verbrannt hatte. Und er leuchtete in einem seltsamen Licht. In dem gleichen, das er in Lyannens Händen gesehen hatte, als der zum ersten Mal Zauberkraft eingesetzt hatte. Und das gleiche Licht drang auch jetzt wieder zwischen Lyannens Fingern hervor.
Genauso mächtig wie vorher, unvorhersehbar wie immer, war der Zauber ausgebrochen. Und hatte das Unmögliche vollbracht: die Finsternis zu zerstören. Doch dabei hatte er alle Lebenskraft aus Lyannen und Slyman gesogen. So sehr, dass Lyannen wie tot zu Boden gesunken war und Slyman seine letzten Kräfte mobilisieren musste, um den Freund auf seinem Pferd zurück nach Syrkun zu bringen.
Und der Anhänger hatte dem Energiestoß der Magie nicht standgehalten und war in seiner Hand zu Goldstaub zerfallen.
Slyman blieb wie erstarrt am Fenster stehen und das Lächeln erstarb auf seinen Lippen. Erst jetzt wurde ihm klar, was da Schreckliches vorgefallen war. Wenn der Anhänger zerstört war, was war dann … Was war mit dem Einsamen geschehen?
»Das hier ist meine Seele, Slyman. Und mein Leben. Ich möchte sie dir anvertrauen. Weil ich dir vertraue. Weil ich weiß, dass du sie nie verlieren wirst.«
Er tastete seinen Hals ab, und hoffte, er hätte das alles in seinem verwirrten Zustand nach dem Kampf mit der Finsternis nur geträumt und der Anhänger wäre noch unversehrt. Vergebens. An seinem Hals hing nur noch das Kettchen.Von dem magischen
Amulett, das für das Leben des Einsamen stand, war nicht das Geringste geblieben.
Slyman ging zum Bett zurück und warf sich darauf, während eine unglaubliche Last sein Herz niederdrückte. Die Welt mochte gerettet sein, aber sein Glück war für immer zerstört, wenn er den Einsamen verloren hatte. Nun fühlte er sich schutzlos und zerbrechlich. Was würde er tun, so ganz ohne ihn? Wie sollte er allein weitermachen, und das gerade jetzt, wo sein Vater im Sterben lag?
»Slyman?«
Mit Tränen in den
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