Gefaehrtin Der Daemonen
Stapel Enzyklopädien setzte. Ich schlug das Buch auf, atmete den Duft des alten Leders ein und fand nach kurzem Suchen die handschriftlichen Notizen, die ich erst wenige Tage zuvor zu lesen begonnen hatte.
Wir sind sie, las ich, diese Jagd, diese wilde, tobende Jagd, die das Wesen eines Zeitalters ausmacht, und vernichtet, auf dass andere wiedergeboren werden können. Deshalb, so glaube ich, muss die Anführerin dieser Jagd so häufig wechseln, weil die Zeitalter sich ändern, und was eine Ära ausmacht, kann nicht auch verlässlich die nächste charakterisieren. Eine neue Stimme ist erforderlich, ein neues Herz.
Die Jagd wird von den Herzen vorgegeben, zum Guten oder zum Bösen. Wir haben diese Lektion auf die brutalste Art und Weise gelernt, die vorstellbar ist, und wir werden sie erneut lernen. Wir haben keine Wahl. Dieses furchterregende Omen, so tief in unser Gedächtnis eingegraben, dass es in das menschliche Blut eindringen konnte, hat sich geöffnet und geschlossen, wieder und wieder. Und schneller jetzt, so wie das Schlagen von Schwingen. Wenn es aufhört, stürzen wir ab.
Wir können nicht von vorn beginnen. Das würde zu viel Risiken in sich bergen. Aber dennoch ist es so, wie einst Tacitus schrieb: »Kein Feind kann einem Anblick widerstehen, der fremdartig und sozusagen teuflisch ist; denn in allen Schlachten werden die Augen als Erstes überwältigt.«
Die Augen werden als Erstes überwältigt. Ja. Oder vielleicht … möglicherweise … werden die Augen auch als Erstes geöffnet. Und mit ihnen öffnet sich … Hoffnung. Wir brauchen Hoffnung und Glaube. Wir müssen beides besitzen. Denn nichts ist furchteinflößender als die Anführerin der Jagd. Niemand wird mehr gefürchtet. Ihr Begehren bestimmt, was sie ist. Ihr Wunsch ist der Befehl.
Und deshalb muss ihr Herz stark sein. Das Ende der Welt schlummert in ihrer Brust. Die Ungetüme, die sich selbst in der Dunkelheit verschlingen.
Ich las die Seite zweimal, ich konnte nicht anders. Die Worte brannten sich in mich hinein, als wäre jeder einzelne Buchstabe aus Hitze geschaffen. Ich war verängstigt und berauscht. Verloren.
Als ich aufsah, bemerkte ich Jacks forschenden Blick. Grant war immer noch in der Küche.
»Ich habe Angst«, gestand ich dem alten Mann. »Wie mache ich von hier aus weiter?«
»Du gehst voran«, bemerkte er beiläufig. »Wie deine Mutter und Jeannie es gewollt hätten. Mit Stärke, Ehrgefühl und Güte.«
»So einfach ist das nicht, alter Wolf«, erwiderte ich. »Das Gefängnis bröckelt. Die Welt, wie wir sie kennen, geht zu Ende. Und ich bin die Letzte, Jack. Jetzt glaube ich es auch. Wenn der Schleier fällt …« Ich hielt inne, dachte an meine Großmutter, fühlte ihre Hände, hörte ihre Stimme vor dem Hintergrund des weiten Himmels und des Windes.
Du gräbst in dein Herz hinein, tief, und stößt die Schlächter zurück. Du kümmerst dich um das, worum du dich kümmern kannst, und wann du es kannst. Aber du gibst nicht auf.
Gib nicht auf. Niemals.
Ich biss die Zähne zusammen und erwiderte Jacks Blick. »Da ist etwas in mir. Ich habe es gefühlt, als ich gegen Ahsen kämpfte. Es war gierig, stark. Es wollte Tod. Und wenn ich weiterkämpfe, wenn ich es dann nicht beherrschen kann …«
Ich konnte nicht weitersprechen. Ich hatte versucht, nicht daran zu denken. An es zu denken … Es war doch namenlos, gestaltlos. An je mehr davon ich mich erinnerte, desto deutlicher spürte ich das Knarren in meiner Brust, als würde eine Tür aufgestoßen, und dahinter blickte eine Präsenz mit einem kalten, gierigen Auge mitten in meinen Verstand.
Wir sind eins , sagte diese ruhige Stimme.
Nein, widersprach ich. Niemals.
Jack stand auf, trat um Bücher herum und schob Stapel mit Papieren zur Seite. Er hockte sich vor mich hin, nahm behutsam meine Hände und sagte: »Die Welt wird von Herzen geformt. Blick tief in dich hinein. Vertraue dir, Maxine. Vertraue dir, wie deine Mutter dir vertraute, und deine Großmutter, wie alle Frauen vor dir, die ihren Töchtern vertrauten, sich treu zu bleiben. Hör nicht auf das, was dir deine Augen einreden. Überprüfe es, hier.« Er legte die Hand auf sein Herz. »Wie es die alten Legenden schreiben.«
»Das wird die Mauern nicht daran hindern zu fallen.«
»Nein«, erwiderte er freundlich. »Aber du wirst die richtigen Freunde an deiner Seite haben, wenn es dazu kommt.«
Jack küsste meine Hand. Doch als er aufstehen wollte, hielt ich ihn fest.
»Du gehörst zu mir«, flüsterte
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