Gefallene Sonnen
Schiff mehr zur Verfügung. Ich bleibe hier bei dir, während wir warten.«
Infolge der Hydroger-Angriffe waren die Familien seit Jahren sehr wachsam, aber kaum jemand von ihnen hatte damit gerechnet, dass die größere Gefahr von der Hanse ausgehen würde. Aufgrund ihrer ständigen Wachsamkeit war es vielen Schiffen gelungen, der TVF-Kampfgruppe bei Rendezvous zu entkommen, und sie warnten nun verborgene Clan-Siedlungen, nicht gekennzeichnete Transporter und geheime Industrieanlagen der Roamer. Die Roamer waren von Natur aus unabhängig, untereinander verbunden durch Loyalität, Ehre und ein lockeres Rechtssystem. Rendezvous war einer der wenigen Orte gewesen, wo sie sich sicher gefühlt hatten. Sie verdankten es ihrer Unabhängigkeit, dass sie derzeit für die TVF-Aggressoren ein schwer zu findendes Ziel waren, aber dadurch wurde es auch schwierig, eine einheitliche Front zu bilden.
Doch nur eine Woche war vergangen. Nur eine Woche. Cesca wusste, dass es ihr irgendwie gelingen würde, die Roamer wieder zusammenzuführen, und sie hoffte, dass die Große Gans ihre Angriffe einstellte, weil sie glaubte, einen entscheidenden Sieg errungen zu haben.
Jhy Okiah hatte deshalb Jonah 12 vorgeschlagen, weil ihr jüngster Sohn dort einen neuen Stützpunkt eingerichtet hatte. Vor nicht allzu langer Zeit war der enthusiastische, einfallsreiche Kotto mit seinen Plänen und den Ergebnissen seiner Simulationen bei den Clan-Oberhäuptern vorstellig geworden und hatte sie dazu gebracht, sein neues Projekt zu finanzieren. Die Oberfläche von Jonah 12 bestand aus wasserstoffreichem Eis, Seen aus flüssigem Methan und anderen für die Industrien der Roamer nützlichen Kohlenwasserstoffen. Und so hatte Kotto dort eine Basis eingerichtet, auf einem kalten Brocken aus Felsgestein und Eis am dunklen Rand eines Sonnensystems, den ein früher Clan-Forscher nach einem Mann benannt hatte, der von einem Wal verschluckt worden war.
Verschluckt von Dunkelheit. Nach all dem, was mit den Roamern geschehen war, glaubte sich Cesca in einer ähnlichen Situation.
Ehrgeizige Arbeiter hatten modulare Kuppeln errichtet, die ihre Energie aus einem kleinen nuklearen Reaktor bezogen. Schürfer wankten wie dicke Pinguine über das unebene Gelände und hinterließen tiefe Rinnen. Maschinen verwandelten das eingesammelte Eis in Gas und entnahmen ihm die Wasserstoffmoleküle, die für die Ekti-Produktion rekondensiert werden mussten. Leichte Elemente wurden für die Kolonie oder den Transport zu anderen Clan-Siedlungen aussortiert. Substanzen, mit denen sich nichts anfangen ließ, entwichen aus jedem Schürfer wie Dampfwolken aus einer alten Lokomotive. In der superkalten Umgebung gefroren die Abgase sofort und legten sich als Schnee auf die Oberfläche. Spezielle Katapulte schleuderten Fässer mit reinem Wasserstoff in die Umlaufbahn, wo ein Ekti-Reaktor sie aufnahm und den Wasserstoff zu Ekti katalysierte, dem wertvollen Allotrop, das man als Treibstoff für den Sternenantrieb verwendete.
Jhy Okiah hatte sich an die kühnen Pläne ihres Sohns erinnert und Jonah 12 selbst sehen wollen, obwohl Kotto derzeit nicht in der Basis weilte und damit beschäftigt war, ein Hydroger-Schiff zu untersuchen, das man in den Ringen von Osquivel gefunden hatte. Sein Chefingenieur Purcell Wan vertrat ihn und hatte Cesca und die frühere Sprecherin in der Station untergebracht.
Es war mehr als ein Jahrzehnt her, dass die alte Frau zum letzten Mal einen Planeten betreten hatte, und trotz der geringen Schwerkraft von Jonah 12 fiel ihr selbst das Atmen schwer. Cesca vermutete, dass das Gewicht der jüngsten Katastrophe und der ungewissen Zukunft schwerer auf ihr lastete als die Gravitation…
Als sie jetzt neben Jhy Okiah auf dem schmalen Bett saß, sah sie, dass sich die Augen der alten Frau getrübt hatten. Zu beobachten, wie TVF-Schiffe Rendezvous angriffen und die Kabel und Haltegerüste zwischen den Asteroiden zerstörten, war ein harter Schlag für sie gewesen.
In der kleinen Wohnkuppel kochte Cesca Pfefferblumentee für sie beide und trank einen Schluck. Jhy Okiah hielt einfach nur die Tasse in der Hand und nahm deren Wärme durch ihre papierartige Haut auf. Dicke, transparente Fenster in der gewölbten Seitenwand zeigten eine fantastische Landschaft aus Wasserstoffeis, aber die alte Roamerin achtete nicht darauf. Sie blickte durchs Fenster ganz oben und beobachtete die Sterne.
»Ich sollte vermutlich versuchen, dich aufzumuntern«, sagte Cesca. »Aber es liegen so
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