Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefangen (German Edition)

Gefangen (German Edition)

Titel: Gefangen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sira Rabe
Vom Netzwerk:
seine schwarze Seele?
    Delia nahm vorsichtig die Karte in die Hand, die an die Vase gelehnt war. Es stand nur ein einziges Wort darauf: Verzeihung. Sie drehte sie um. Lennart hatte lange nachgedacht, ehe er mit seiner markanten, schwungvollen Handschrift die wenigen Sätze niedergeschrieben hatte, aber das ahnte Delia nicht.
    Nichts von dem, was dort stand, rührte im Moment ihr Herz. Sie war durcheinander, fühlte sich weggestoßen und nutzlos. Wochenlang hatte sie an nichts anderes gedacht, als wieder frei zu sein. Doch das Glücksgefühl, das sie nun hätte empfinden müssen, wollte sich partout nicht einstellen. Eine große Leere erfüllte sie. War das Erlebte vielleicht doch nicht so schlimm gewesen? Es gab auch schöne Momente – oder verschob sich mit ein paar Stunden Abstand bereits das Empfinden für die Realität?
    «Liebste Delia. Es tut mir leid. Ich hoffe, du verzeihst mir. Lennart – P.S.: Ich liebe dich. Aber ich verstehe jetzt, dass ich deine Liebe nicht erzwingen kann.»
    Na, wenigstens das hatte er begriffen, dachte Delia nüchtern. Für einen Augenblick fühlte sie wieder die Wut in sich aufsteigen, die sie aufrecht gehalten hatte, unausgelebte Wut, und am liebsten hätte sie die betörend duftenden Blumen genommen und in den Müll befördert. Aber – was konnten die Blumen dafür, dass Lennart so ein unglaublicher Idiot war? Warum hatte er sie nicht klassisch umworben, war mit ihr ausgegangen, hatte sie verwöhnt? Sie wäre seinem Charme bestimmt erlegen und wäre viel eher bereit gewesen, seine Wünsche zu erfüllen.
    Delia wandte sich ab und flüchtete aus dem Zimmer. Ein Schmerz begann sich zu regen, den sie jetzt nicht fühlen wollte. Die Sehnsucht nach dem anderen Lennart, der zärtlich und sinnlich sein konnte, der ihrem Körper das Gefühl gab, begehrt zu werden, der ihn zu Vibrationen trieb, die sie zuvor noch nie erlebt hatte.
    War das wirklich ihre Wohnung, ihr Zuhause, in dem sie seit dreieinhalb Jahren lebte? Delias Analyse war nüchtern. Nachdem Martin ausgezogen war, hatte sie die Wohnung teilweise neu möbliert und umgeräumt, das Wohnzimmer in einem kitschigen Rosé gestrichen und willkürlich bunte Bilder an die Wände gehängt, um sie zu ihrer Wohnung zu machen. Aber im Augenblick empfand sie dies nicht. Es war ohne Bedeutung und es war geschmacklos. Wahrscheinlich wäre es sinnvoll, alles zu überdenken und einen Neuanfang zu machen. Mit Farben und einer Einrichtung, die wirklich zu ihr passten. Oder sogar mit dem Umzug in eine andere Wohnung, an der keine Erinnerungen hingen. Auch nicht die Erinnerung an die Entführung.
    War es denkbar, dass sechs Wochen alles veränderten? Als sie sich von der Überraschung, dass er sie gehen ließ, erholt hatte, hatte sie sich tatsächlich eingebildet, sie könne alles von sich abschütteln. Aber stattdessen fühlte sie sich leer, schrecklich leer, wusste überhaupt nicht, was sie jetzt machen sollte. Der Gedanke, in zwei Tagen in die Arbeit zurückzukehren und so zu tun, als sei sie sehr krank gewesen, psychisch krank, war schlichtweg absurd. Leise seufzte sie vor sich hin und schlenderte weiter.
    Auf dem Küchentisch stapelte sich die Post, ordentlich sortiert nach privaten Briefen, Rechnungen, Zeitschriften, Werbung. Alle Briefe außer der Post mit eindeutig privatem Inhalt waren aufgeschlitzt. Auf dem Stapel der Kuverts mit den Rechnungen klebte ein türkisfarbenes Post-it: Bezahlt. Du bist mir nichts schuldig.
    Daneben lagen drei Fotokopien von den Attesten, die Lennart an ihre Arbeitsstelle geschickt hatte und obendrauf ihre Krankenkassenkarte. Erneut regte sich Verärgerung in Delia, als sie das Fachgebiet des Arztes las: Psychiatrische Praxis Dr. B. Auch darauf war ein Klebezettel angebracht: Sorry. Am besten sagst du, du hattest ein Burn-out-Syndrom, falls dich jemand fragt. Ausgebrannt? Genauso fühlte sie sich jetzt. Es würde ihr folglich nicht schwerfallen, die kaum Genesene zu spielen!
    Bitterkeit stieg in ihr auf. Warum hatte er das getan? Hatte er auch nur den Funken einer Ahnung, wie sehr sie das in ihrer Position in Schwierigkeiten bringen konnte? Zeitungen – sie musste unbedingt über das Wochenende Zeitungen lesen, um auf dem Laufenden zu sein. Die Aktienmärkte. Wie hatten sie sich entwickelt? Unschlüssig strich ihre Hand über den Stapel der Wochenendzeitungen und Börsenfachblätter, die er ihr besorgt hatte. Selbst daran hatte er gedacht. Er dachte immer an alles. Aber es stimmte sie nicht dankbar. Warum hatte

Weitere Kostenlose Bücher