Gefangen im Terror (German Edition)
abstoßend. Er war kaum größer als ich, dafür aber sehr kräftig.
Außerdem war er als Angeber in der ganzen Stadt bekannt. Diese schlechte Eigenschaft war auch meinem Vater nicht verborgen geblieben. Und obwohl er seinem Freund schon vor vielen Jahren zugesagt hatte, dass ich die Frau seines Sohnes werden würde, ließ er sich nach und nach überzeugen, dass doch Chamil der Richtige für mich war. Ausschlaggebend für die Änderung seiner Meinung war die Tatsache, dass Ruslan, in eine Betrugsaffäre verwickelt war, die auch meinen Vater schädigte. Von meiner Mutter erfuhr ich, dass Vater sein erspartes Geld in eine Transportgesellschaft gesteckt hatte, die seit ein paar Jahren Waren von Russland nach Dagestan verschob. Ruslan hatte die Waren von Rebellen abfangen lassen und auf eigene Rechnung verkauft. Die Sache war zwar offiziell nicht bekannt geworden, aber die Firma war dadurch in den Ruin getrieben worden und mein Vater hatte sein ganzes Geld verloren.
Erst nach diesem Vorfall, sah mein Vater ein, dass ich ihn nicht zum Mann nehmen konnte. Außerdem war ich zu diesem Zeitpunkt bereits über 20 Jahre alt und die meisten Mädchen in meinem Alter waren längst verheiratet. Es wäre schwierig geworden, für mich einen neuen passenden Ehemann zu finden. Chamil stammte zwar aus Tbilisi und war damit nicht dagestanischer Abstammung, aber durch seine Ausbildung würde er es zu etwas bringen. Meinem Vater lag sehr viel daran, mich standesgemäß zu verheiraten. Als Chamil einen Anstellungsvertrag einer großen Zeitung in Händen hielt, stimmte er schließlich zu. Damit würde mein Vater sein Gesicht wahren können.
Chamil war mit seinem Studium in Tbilisi fast fertig, als ich ihn traf. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Seine Vorlesungszeiten lagen ziemlich genau mit den meinen zusammen. Wir sahen uns fast täglich im Vorübergehen. Wenn ich mit meinen Studienkolleginnen zusammen zur Universität ging und Chamil begegnete uns, wagte ich nicht, ihn anzusehen. Aber gelegentlich traf ich ihn alleine und bemerkte, dass er mir unverhohlen Blicke zuwarf. Meine Beine fingen dann zu zittern an und ich musste mich sehr konzentrieren, einfach weiterzulaufen, nicht stehen zu bleiben und ihn anzustarren.
Nach zwei Monaten geschah es dann. Er sprach mich an: „Hallo, ich bin Chamil, wir haben uns schon so oft gesehen. Darf ich dich heute Mittag abholen?“ Im ersten Moment hatte ich das Gefühl, dass sich die Erde auftun würde um mich zu verschlucken, aber es geschah nichts. Ich starrte ihn mit offenem Munde an und er lachte und fügte hinzu: „Wir könnten zusammen in ein Café gehen.“
Ich brachte in vages Lächeln zustande, denn in ein Café eingeladen zu werden, war in unseren Kreisen nicht üblich. Die Männer blieben immer unter sich und wir muslimischen Frauen gingen nie in ein Café. Sicher gab es in Tbilisi viele Cafés, in denen auch Frauen anderer Konfessionen verkehrten. Aber ich war viel zu ängstlich, dass meine Eltern davon erfahren würden und hatte es bisher bleiben lassen.
Tbilisi war eine große Stadt mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten, nur 11% waren Moslems. Mit dem Schleier aus dem Haus zu gehen war deshalb eher auffällig. Trotzdem trug ich mein Kopftuch auch an der Universität. Ich lebte in zwei Welten. Manchmal fiel es mir nicht leicht, zu Hause in Beslan wieder in die bestehende Ordnung einzutauchen.
Zur Zustimmung nickte ich nur mit dem Kopf und Chamil lächelte mich an. Ein Glücksgefühl durchströmte mich. Endlich war es passiert. An diesem Tag war kein Studieren mehr möglich, ich schwebte durch den Tag und wartete nur auf den Moment, wo wir zusammen weggehen würden. Als ich meinen Freundinnen davon erzählte, waren sie neidisch und sagten: „Pass nur auf dich auf! Zuerst geht er mit dir ins Café und dann verlierst du deine Unschuld!“ Es war einfach albern, wie sie sich benahmen. Ich würde schon auf mich aufpassen. Schließlich war ich kein Kind mehr. Ich beschloss, ihnen nichts mehr zu erzählen.
Während des Studiums trug ich immer die traditionelle Kleidung einer Muslimin. Den Schleier trugen an der Universität nur wenige, aber das Kopftuch war durchaus üblich. Zu unserer Verabredung probierte ich alle meine Sachen durch. Ich konnte mich nicht entscheiden. Ich hatte mir heimlich eine Jeans und einen Pullover gekauft. Meine Eltern durften von dieser Kleidung nichts wissen. Sie würden den westlichen Einfluss als Gottlosigkeit sehen und mich als ungläubig und
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