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Gefangen

Gefangen

Titel: Gefangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Lim
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gängigen Höflichkeitsformen wahren, sonst halten mich meine Gastgeber für einen Alien.
    „Ähm, hallo, ich bi n … Car-men, äh m … Zappa-costa“, murmle ich verlegen und suche fieberhaft nach dem Namen des Mädchens in meinem gerade erst neu entstandenen Gedächtnis. Falls er sich darüber wundert, dass ich kaum meinen eigenen Namen herausbringe, lässt er es sich nicht anmerken, höflich, wie er ist.
    Aber sobald meine Hand seine berührt, nehme ich überströmenden Kummer wahr, ein Gefühl wie Ertrinken, das nicht zum freundlichen Äußeren des Mannes passt. Es drängt sich zwischen uns wie Flutwasser, das ansteigt, um die Leere zu füllen.
    Etwas Wildes wurde da entfesselt, ein wortloses Grauen, das nach Beachtung schreit, und ich schrecke unwillkürlich zurück, als stünde der Mann in Flammen.
    Dann, wie zum Hohn, kehre ich in Carmens Körper zurück und nehme wieder das Innere des Wagens wahr: die leicht rauchige Tönung der Windschutzscheibe, die Lederschalensitze, das Armaturenbrett mit seiner Holzoptik und die zerfledderte Straßenkarte im Seitenfach der Beifahrertür. Mein Atem beruhigt sich, die Phantomschmerzen in meiner linken Hand lassen nach.
    Was immer es sein mag, dieses Gefühl, dieses Grauen, dieses Geheimnis, es haftet ihm an wie ein Geruch, sitzt wie ein Hexentier auf seiner Schulter und nagt an seinem Fleisch. Erstaunlich ist nur, dass ich es nicht gleich erkannt habe, aber der Mann hat sich besser im Griff als der Busfahrer. Er kann das Krebsgeschwür in seiner Seele besser verbergen. Nur durch Berührung wird es sichtbar. Interessant.
    „Du wirst sicher davon gehört haben“, sagt mein Gastvater jetzt und zieht hastig seine Hand zurück. Er schaut weg, blinzelt zweimal, bevor er den Wagen startet. „An diesem Ort hier weiß jeder über jeden Bescheid. Wahrscheinlich haben sie dich vorgewarnt. Kann ich ihnen nicht mal übel nehmen. Ich würde das auch wollen, wenn du meine Tochter wärst.“
    Wir rollen in dem bequemen Familienauto vom Parkplatz und fahren auf rechtwinklig angelegten Straßen durch die Stadt, durch die Hauptstraße mit ihren Grillbuden, Mini-Märkten, Waschsalons, Pensionen und Bars. Wir sprechen erst wieder, als mein Gastvater vor einem weiß gestrichenen zweistöckigen Holzhaus mit überstehenden Giebeln anhält. Es hat eine Doppelgarage und einen Lattenzaun, auf dem Rasen steht ein Vogelhäuschen. Ein schönes, gepflegtes Anwesen, gut in Schuss wie der Mann selbst.
    Im Gegensatz zu den Nachbarhäusern wird dieses hier von drei riesigen Hunden bewacht: Dobermänne r – glänzende, schwarzbraune Muskelpakete. Zwei von ihnen liegen auf dem Fußweg zur Haustür, der dritte hat sich auf dem Rasen auf den Rücken gerollt. Alle drei ruhen da, träge und tödlich. Ihr Anblick zerrt an mir, ohne dass ich sagen könnte, warum.
    „Bleib noch einen Augenblick im Auto“, sagt M r Daley sanft. Er steigt aus und hantiert an dem komplizierten Vorhängeschloss, das sein Gartentor blockiert, eine echte Herausforderung für jeden unerwünschten Besucher. Endlich stößt er das Tor auf, schlüpft durch und pfeift seine Hunde herbei. Aber einer von ihnen hebt im Lauf plötzlich den Kopf und schert aus, die anderen folgen ihm. Ohne Vorwarnung stürmen sie aus dem Tor und umringen den Wagen. Geifernd und bellend scharren sie an den Türen, gehen auf die Hinterbeine, suchen einen Weg hinein, einen Weg zu mir.
    Ich spüre, wie Carmens Augenbrauen sich zusammenziehen, und merke, dass ich das mache. Dann fällt es mir wieder ein: Hunde spüren und fürchten mich mehr als jedes andere Lebewesen. Vielleicht sehen sie mich sogar, mein wahres Selbst, gefangen in einem Körper, der nicht der meine ist. Woher ich das weiß und wann ich es schon einmal erlebt habe, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass die Hunde Carmen das Leben hier schwer machen werden.
    „Her mit euch! Kommt sofort her!“, brüllt Stewart Daley und schüttelt fassungslos den Kopf, als die Tiere ihm noch immer nicht gehorchen.
    Sie ignorieren ihn und versuchen sich in blinder Wut durch die Autotür zu mir durchzubeißen, bis er sie schließlich einen nach dem anderen am Halsband fortzerrt und hinter ein mannshohes Seitentor wegsperrt. Dort heulen sie weiter, Schaum trieft von ihren Lefzen, und sie kratzen mit den Vorderpfoten an dem stacheldrahtbewehrten Metallzaun, als ob sie besessen wären. Eine Szene wie aus einem der Horrorfilme, auf die Lucy so wild war, als wäre ihr eigenes Leben nicht schon Horror genug

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