Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
sie nur konnte. Saß da jemand in den Büschen, der ihr zugehört hatte? Spottete jemand über sie?
Aber um diese Zeit hielt sich doch kein Mensch mehr auf dem Friedhof auf. Oder?
»Ist da jemand?«
Da war es wieder: ein Kichern, und es klang alles andere als harmlos. Sondern durch und durch bösartig. Aber woher kam es? Aus den Bäumen? Oder sogar aus der Gruft?
»Hallo?«, flüsterte sie atemlos, und dann drang urplötzlich richtiges Gelächter an ihre Ohren. Die Wände warfen das Echo zurück. Sie wirbelte herum, ließ den Blick über die Bäume schweifen, doch im Dämmerlicht wirkte jede Statue, jeder Busch wie eine kauernde Gestalt, die zum Sprung ansetzte. Im selben Moment erinnerte sie sich an jene grauenvolle Nacht im Schnee, als Marcus Brent versucht hatte, ihr jeden einzelnen Knochen zu brechen, ehe er sie halb erdrosselt hatte.
»Wer ist da?«, rief sie noch einmal.
Und dann bemerkte sie eine dunkle Gestalt hinter einem Grabkreuz. Sie stand einfach nur da, wie eine Statue. War es eine Statue? Oder ein Vampir?
Du bist die Nächste.
Diesen Satz hatte sie sich ganz bestimmt nicht eingebildet. Es war eine Flüsterstimme, aus der blanker Hass sprach.
Nichts wie weg , dachte sie. Sie ließ die Blume fallen und rannte los, sprintete den Weg hinunter, so schnell sie nur konnte. Alles um sie herum verschwamm, und die Engel und Statuen schienen sich zu ihr herabzubeugen und nach ihr zu greifen. Als sie um die nächste Ecke bog, rutschte sie auf ein paar Blättern aus und wäre um ein Haar zu Boden gegangen. Sie stieß sich den Arm an einem Grabstein und rieb sich den Ellbogen.
Mist! Los, lauf! Sie wagte nicht, einen Blick hinter sich zu werfen. Dann hatte sie die Treppe erreicht und hetzte sie, immer drei Stufen auf einmal nehmend, hinunter, lief über den Friedhofsvorplatz und durch das Tor auf die Swain’s Lane. Gerade als sie dachte, sie sei in Sicherheit, trat ihr eine dunkle Gestalt in den Weg, breitete die Arme aus und packte sie. Sie wollte einen Schrei ausstoßen, doch sie war so außer Atem, dass sie nicht mal Luft holen konnte.
»Hey, hey! Krieg dich wieder ein!«, sagte eine vertraute Stimme. »Was ist denn?«
Sie sah auf. Gabriel! Es war Gabriel!
»Oh, Gott sei Dank.« Schwer atmend schlang sie die Arme um ihn und hielt ihn fest. »Gut, dass du es bist.«
»Klar bin ich’s«, erwiderte er amüsiert.
April trat einen Schritt zurück und schlug ihn auf den Arm.
»He! Was ist denn jetzt los?«
»Du hast mich fast zu Tode erschreckt! Ich dachte, du wärst …« – sie warf einen Blick über die Schulter – » … einer von ihnen . Die waren hinter mir her!«
Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, während er durch das Eisentor und den dunklen Weg hinaufsah.
»Was ist passiert?«
»Ich habe Stimmen gehört. Als ich oben bei … bei meinem Vater war. Und dann habe ich auch etwas gesehen.«
Gabriel musterte sie prüfend.
»Gesehen? Was genau?«
»Da stand jemand hinter einem der Gräber. Glaube ich zumindest.«
»Und er hat mit dir gesprochen?«
»Nicht so, wie du denkst. Er hat gelacht, und dann habe ich dieses gemeine Flüstern gehört …« Sie merkte selbst, dass sie wenig überzeugend klang. »Es war grauenhaft.«
Er hielt inne und sah erneut zum Tor hinüber.
»Bist du sicher, dass es nicht der Friedhofsgärtner war?«
»Ich habe jemanden gehört«, gab sie zurück.
Er musterte sie erneut, ehe er den Blick wieder auf den dunklen Weg richtete. »Warte hier. Das sehe ich mir mal genauer an.«
»Oh, nein.« April hielt ihn fest. »Du kannst mich nicht allein lassen.«
Ihm schien etwas auf der Zunge zu liegen, doch dann zog er sie nur fest an sich.
»Ich werde nie zulassen, dass dir jemand etwas antut.« Er sah ihr tief in die Augen. »Hast du mich verstanden?«
April war durchaus bewusst, dass eine ganze Generation von Feministinnen nur den Kopf über sie geschüttelt hätte, doch sie lächelte Gabriel bewundernd an. Er ist so süß, wenn er einen auf Macho macht.
»Okay, Ironman«, sagte sie. »Aber jetzt lass uns gehen, nur für alle Fälle, okay?«
»Na gut«, erwiderte er, nahm sie beschützend in den Arm und ging mit ihr die Swain’s Lane hinauf. Sein Tonfall war ruhig, doch spürte sie seine Anspannung, während er durch die schwarzen Gitterzäune des Friedhofs spähte und Ausschau nach dem Feind hielt. Nach Kreaturen wie ihm selbst.
»Hör zu«, sagte er. »Ich weiß, dass du deinen Dad lieber allein besuchst, aber vielleicht sollte ich dich das nächste Mal
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