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Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)

Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)

Titel: Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia James
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sich im Verborgenen halten.
    Als eine Kutsche vorbeiratterte, zog er sich noch weiter in die Schatten zurück. Nicht dass er jemandem aufgefallen wäre – er war bloß ein leicht heruntergekommener Gentleman, der sich ein wenig die Beine vertrat, vielleicht auf der Suche nach weiblicher Gesellschaft. Trotzdem blieb er auf der Hut; für ihn ging es ums Überleben.
    Die Frau stieß einen Fluch in Richtung der beiden Kerle aus und setzte ihren Weg fort, im fahlen Schein der Gaslaternen die Flower Street hinunter. Er kam ihr näher und näher. Nun hatte er sie genau im Blick. Er konnte sie beinahe schmecken; ein feines Lächeln umspielte seine Lippen: Sie war ihm ausgeliefert. Er kannte jeden noch so versteckten Winkel dieses düsteren, unübersichtlichen Viertels, in dem sich die Häuser über die Straßen neigten wie Betrunkene über einen Tresen. Er war ganz dicht hinter ihr; seine Absätze glitten fast lautlos über das Pflaster, während er seine behandschuhte Hand nach ihr ausstreckte …
    »Passen Sie doch auf! Oh, werter Herr! Suchen Sie vielleicht nach einer Lady, die Ihnen den Abend versüßen könnte?«
    Sie war jünger, als er gedacht hatte. Hübsch sogar, wenn auch ziemlich verlebt. Du liebe Güte, das Mädchen sah aus wie … sie. Zweifel keimten in ihm auf. Was er vorhatte, war falsch, nicht wahr? Oder doch nicht? Auf einmal war er sich nicht mehr sicher. Sein Verlangen war zur Droge geworden, zu einer Notwendigkeit, die er schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr infrage gestellt hatte.
    Das Mädchen hatte sein Zögern bemerkt. Offenbar nahm sie an, dass er ein schlechtes Gewissen hatte, vielleicht wegen einer Ehefrau oder Verlobten, die allein zu Hause saß.
    »Mach dir keine Sorgen, Schätzchen«, sagte sie. »Ist doch nichts dabei. Nächsten Sonntag sprichst du ein paar Ave Marias, dann ist alles wieder gut.«
    Er wich abrupt zurück, als sie nach seinem Jackenaufschlag griff.
    »Na, nicht so schüchtern«, sagte das Mädchen. »Für ’nen Schilling hast du ein neues Liebchen.«
    Ein Schilling? Ein Mädchen in diesem Viertel konnte froh sein, wenn sie zwei Pence bekam. Sie versuchte, ihn auszutricksen, zu manipulieren, genauso wie alle anderen, die ihm über den Weg liefen. Er spürte, wie der Zorn wieder in ihm aufzuwallen begann – diese blinde, gnadenlose Wut, die er nicht kontrollieren konnte, diese Wut, die ihn dazu brachte, all diese schrecklichen Dinge zu tun. Das Mädchen sah, wie sich seine Züge verhärteten, und zuckte mit den Schultern.
    »Schon gut, schon gut.« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Na ja, kannst ’nem Mädchen ja schlecht verübeln, dass sie’s mal versucht, was? Weißt wohl nicht, wo du hin sollst, wie?«
    Er holte tief Luft, versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen – nicht jetzt, nicht hier. Er schüttelte den Kopf.
    »Nee, ein netter Gentleman wie du steigt sonst bestimmt nicht in so ’ner Gegend ab, stimmt’s?« Sie gab ein gackerndes Lachen von sich. »Keine Sorge, ich kenn ein hübsches Plätzchen, wird dir gefallen.«
    Sie lockte ihn mit dem Zeigefinger, und er folgte ihr, zuerst in eine enge gepflasterte Gasse, dann durch ein Tor in einen Hof, in dem sich Kisten und irgendwelches Gerümpel stapelten. Perfekt. Hier würde sie niemand sehen. Endlich konnte die Dunkelheit aus seinem Innern dringen. Niemand würde etwas mitbekommen. Erst später würden sie sehen, was er angerichtet hatte – alle, alle würden es sehen. Er packte sie, zog sie in die Schatten.
    »Du gehst aber ran!«, lachte das Mädchen und lehnte sich betont aufreizend an die Hausmauer. »Na, dann komm schon.«
    »Ich habe versucht, es zu unterdrücken«, flüsterte er und drängte sie an die Hauswand. »Aber es ist einfach zu stark.«
    »Schon in Ordnung, Süßer«, erwiderte sie, doch er hörte das Beben in ihrer Stimme. »Bei mir musst du dich nicht verstellen.«
    Sie zuckte leicht zusammen, als sich seine Hände um ihren Hals legten.
    »Oh, so magst du’s also?« Sie lächelte. »Du bist ja ein ganz Schlimmer. Wie heißt du überhaupt?«
    Einen Augenblick lang hielt er inne. Wer war er eigentlich? Hatte er überhaupt einen Namen? Es war so lange her, dass sie seinen Namen gerufen hatte, so lange her, seit er eins mit sich selbst gewesen war. Nun war er ein Teil des Dunkels, eins mit den Schatten und dem Nebel, verschmolzen mit den finsteren Straßen rings um ihn.
    »Wie ich heiße?«, flüsterte er, während er ihren Kopf nach hinten bog, sodass ihre Kehle aufblitzte. Er

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