Gefangene der Sehnsucht
weitersprach, denn mit jedem Wort, wurde sie faszinierender, obwohl er nicht sicher war, dass es aus den üblichen Gründen war. Den lebensnotwendigen Gründen, die einen Mann am Leben hielten oder ihn umbrachten.
»Wonach genau rieche ich denn? Nach einem hungrigen Bären oder als hätte ich im Blut meiner Opfer gebadet?«
»Als würdet Ihr bekommen, was Ihr wollt.«
Sie hatte also auch eine gute Nase. War klug und hübsch. Und sie war eine Lügnerin.
Sie schaute wieder hinüber zu den Menschen, die auf der Straße vorbeiströmten. »Und was ist mit Euch, Sir? Seid Ihr auf der Suche nach einem Hahn?«
»Nein.«
»Nach einer Hure?«
Er schnaubte.
»Vielleicht nach einer Knoblauchzehe?«
Er schwieg. Dann sagte er ihr aus einem Impuls heraus die Wahrheit. »Ich suche einen Priester.«
Sie zuckte kaum merklich zusammen, ein kleines unterdrücktes Zucken, das die Spitzen ihrer Locken zum Schwingen brachte.
Das Zusammenzucken hätte einfach nur eine überraschte Reaktion auf seine lässige und respektlose Art, über einen Mann Gottes zu reden, sein können. Oder darauf, dass sie überhaupt miteinander sprachen. Oder darauf, dass sie bis jetzt noch nicht angegriffen worden war.
Aber Jamie hatte drei Viertel seines Lebens damit verbracht, es herauszufinden, wenn Menschen etwas verbargen, und diese Frau verbarg ganz gewiss etwas.
Sie stieß sich von der Wand ab. »Ich muss jetzt meinen Hahn holen gehen.«
Er grinste. »Man wird Euch vermissen.«
Sie lächelte ihn über die Schulter an. Es war wieder dieses kühle, atemberaubende Lächeln, und er wusste, warum er sich so lange mit ihr aufgehalten hatte. »Ihr werdet nicht lange allein bleiben. Die Straßenwache wird bald kommen, Euch zu holen, dessen bin ich mir sicher.«
Er lachte. »Seid vorsichtig«, sagte er. Es war eine Warnung, die aus irgendeinem, ihm bis jetzt unbekannten Winkel seines Innersten plötzlich aufgetaucht war.
Wieder warf sie ihm dieses kleine Lächeln zu, das, wie er bemerkte, durchaus nicht kalt war. Es war verstohlen. Verhalten. Wunderschön.
Sie schlüpfte aus ihrem engen Zufluchtsort, tauchte in das wogende Meer von Körpern ein und ging direkt auf den Hahn mit den grünen Federn zu. Ihr abgetragener schwarzer Umhang blähte sich, sodass sie über den Schmutz der Straße zu schweben schien. Dann, kurz bevor sie die Käfige erreichte, bog sie scharf nach links ab – und sein Weg den Hügel hinunter begann.
Als er das Haus des Rabbis, in dem sich der Priester und seine gefährlichen Handschriften laut Hörensagen befinden sollten, endlich entdeckt hatte, war der Rabbi verschwunden. Der Priester war verschwunden. Die Dokumente waren verschwunden. Und die Frau mit den grauen Augen war verschwunden.
König John würde nicht erfreut sein.
Jamie machte sich daran, die Frau zu suchen.
2
D arf ich stören?«
Die leise gesprochenen Worte rissen ihn mitten im Gehen herum. Er blieb stehen. Sie war es, die Frau mit den grauen Augen, die ihm zuvorgekommen war, sich seine Beute geschnappt hatte.
Jamie kämpfte den Drang nieder, die Frau zu packen und zu schütteln, als ihm klar wurde, dass sie auch ohne einen solchen Ansporn reden wollte. Dennoch, sein Bedürfnis fand kaum Befriedigung. »Was?«, stieß er aus. »Wo ist der Priester?«
»Ein paar schreckliche und stinkende Männer haben ihn weggeschleppt.«
Das raubte ihm für einen Moment den Atem. Es musste ihm anzusehen sein, denn sie nickte mitfühlend. »Ja, wirklich. Ich war genauso entsetzt.«
»Vielleicht nicht in demselben Maße.«
»Nein, vielleicht nicht ganz. Immerhin habt Ihr zwei Schocks erlitten und ich nur einen. Aber ein schrecklicher Schock ist es dennoch, nicht wahr?«
»Ja, schrecklich«, bestätigte er finster. »Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr den Priester nicht habt?«
»Natürlich habe ich ihn nicht. Aber ich könnte Eure Hilfe brauchen, um ihn wiederzufinden.«
Was erwiderte man auf ein solches Ansinnen? »So, könntet Ihr das?«
Sie sah ihn forschend an. »Habt Ihr gedacht, es sind Eure Männer, die mit Father Peter auf und davon sind? Sie sahen nicht wie Eure Männer aus, also macht Euch keine Gedanken, dass es Euch gelungen ist, mir meinen Priester zu stehlen.«
»Ich habe mir keine Gedanken gemacht«, widersprach er trocken. Er setzte keine Männer ein, im Allgemeinen, ausgenommen seinen Freund und Gefährten Ry, der zurzeit die Pferde für einen Ritt sattelte, den sie heute Nacht nun wohl doch ohne einen dickschädeligen Priester in ihrer Obhut
Weitere Kostenlose Bücher