Gefangene der Welten
einmal tief durch. Als sie die Augen wieder öffnete, stand der Karren des Bauern abfahrbereit vor dem großen Tor, das zu den Feldern außerhalb der Burgmauern führte. Es wurde bereits geöffnet.
Jetzt oder nie
, schoss es ihr durch den Kopf. Niemand beachtete sie oder sah in ihre Richtung. Sie lief los und versteckte sich unter einem Jutesack, während sie darauf wartete, dass der Bauer seine Pferde antrieb. Der penetrante Geruch von Zwiebeln stieg ihr in die Nase und der übelriechende Sack raubte ihr beinahe die Luft zum Atmen.
Sydney hörte, wie das Zuggitter hochfuhr. Ein Ruck ging durch den Wagen und es ging vorwärts. Sie hatte noch einige Minuten unter dem Sack verharrt, aus Angst, dass man sie doch noch sehen würde, doch dann hob sie ein Ende und linste hinaus. Der Bauer ahnte nichts von seinem blinden Passagier und pfiff derweil ein fröhliches Liedchen vor sich hin. Mit Bedacht kroch Sydney unter den groben Stoff hervor und schob sich Stück für Stück näher an die Kante des Wagens. Der holprige Weg führte dicht am Waldrand vorbei. Einen Blick zurück auf den Bauern werfend, registrierte Sydney die Wolkenberge, die sich bedrohlich auftürmten und immer mehr blauen Himmel verschluckten. Der Wagen erreichte die ersten Bäume des Waldes. Sie sah sich ein letztes Mal um, biss die Zähne zusammen und kullerte vom Wagen.
Hastig kroch sie näher an die Bäume, um vom Bauern nicht doch noch gesehen zu werden.
Und nun stand sie hier, inmitten vom Nirgendwo, und wusste nicht, wo sie hin sollte. Der Gedanke ließ das Grinsen verblassen und sie hielt einen Moment inne. Sicher, sie wollte nach Hause, doch wie sollte sie dieses Portal ohne jede Hilfe wiederfinden?
Sydney warf einen Blick zurück. Die Burg war nunmehr ein grauer Koloss in der Ferne und der letzte Sonnenstrahl, der die Erde traf, bevor das Unwetter über das Land einbrach, beleuchtete die Felder der Bauern und tauchte die Umgebung in surreales Licht. Seufzend wandte sie sich ab und marschierte los.
Besser, sie ließ sich von ihrem Instinkt leiten, als dass sie am Waldrand darauf wartete, dass man sie einfing, um sie zur Ehe mit einem Mann zu zwingen, der sie vergewaltigen würde, um ein Kind zu erzwingen. Sydney schauerte. Würde es tatsächlich eine Vergewaltigung sein, fragte sie sich, und eine steile Falte erschien zwischen ihren Augenbrauen. Damian übte eine ungemeine Anziehungskraft auf sie aus.
Nichtsdestotrotz erlaubte sie es sich nicht, dort zu bleiben und sich in dieses widersinnige Schicksal zu ergeben. Es ist nicht alles Gold, das glänzt, pflegte ihr Vater stets zu sagen und sie musste ihm zustimmen. Damian mochte noch so gut aussehen, aber wer gab ihr die Gewissheit, dass dieser Mann kein rücksichtsloser, brutaler Tyrann war?
Du brauchst dich nicht zu fürchten, mein Herz.
Seine Worte hatten aufrichtig geklungen, doch seine gesamte Körpersprache schien ihr ausschließlich darauf ausgerichtet, sie in sein Bett zu bekommen. Er war ein Herzensbrecher und Meister der Verführung, ging es ihr durch den Kopf. Vermutlich hatte dieser Mann schon mehr Herzen gebrochen, als ihm lieb war. Zufrieden ergab Sydney sich den düsteren Gedanken über untreue Männer im Allgemeinen und Schürzenjäger, wie Damian es einer sein musste, im Speziellen. Sie war dankbar für jeden Gedanken, der ihr genügend Distanz einbrachte zu diesen Augen, deren düstere Tiefen unzählige Geheimnisse bargen und dennoch einen warmen Glanz ausstrahlten, der ihr Herz wild schlagen ließ. Sie wusste nichts über diesen Mann. Gar nichts. Und doch… Sydney seufzte. Es war zum Verrücktwerden! Sie wusste genau, was zu tun war und wie sie sich verhalten sollte, doch ihr Herz, dieser Verräter, zeigte ihr immer wieder aufs Neue Wege auf, die ihren Verstand ins Zweifeln brachten.
Über ihr grollte der Donner und ein Blitz zuckte über den Himmel. Der Wald lag erschreckend finster vor ihr, als sie ein zweites Grollen vernahm, das sie zusammenzucken ließ. Es kam nicht von dem Unwetter, sondern von den Bäumen zu ihrer Linken.
Unsicher blieb sie stehen.
Der Himmel hatte sich rasch verdunkelt. Kaum noch ein Lichtstrahl drang durch die Baumkronen über ihrem Kopf. Sie wandte ihren Kopf nach links, als ein weiterer Blitz ihre Umgebung erleuchtete. Der Schreck fuhr ihr durch sämtliche Glieder. Ein Paar gelber Augen leuchtete zwischen den Bäumen auf. Ihr Herz setzte einen Schlag aus und entsetzt taumelte Sydney rückwärts, als der Wolf nähertrat. Was sollte sie tun? Wie
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