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Gefangene des Meeres

Gefangene des Meeres

Titel: Gefangene des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James White
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Seite beobachtete, erkannte er instinktiv, daß seine Lüge nicht überzeugt hatte. Radford und Dickson hatten keine Ahnung, welche Mühe er sich machte, ihren Schlaf zu sichern.
    Er beugte sich zu ihr und küßte sie leicht und kurz auf den Mund.
    Sie reagierte weder ärgerlich noch erstaunt; sie zeigte überhaupt keine Gemütsbewegung. Wallis verfluchte sich im stillen. Er war auf dem besten Wege, die ganze Sache noch mehr zu verwirren. Er suchte nach einer rettenden Bemerkung und sagte: »Sie haben Ihre Augen offengehalten. Ich dachte, alle Mädchen schlössen die Augen, wenn sie …«
    »Ich wollte sehen, ob Sie die Ihren schließen würden«, sagte sie stumpf, »und ich glaube, Sie haben es getan. Sie konnten mich nicht aus der Nähe ansehen, und Sie brachten es nicht über sich, mich länger als eine Sekunde zu berühren.«
    Wallis verspürte den dringenden Wunsch, sich zu entfernen. Seine über den Daumen gepeilte Psychologie machte sich nicht bezahlt, und seine Bemühungen hatten nur dazu geführt, daß Miß Murrays Gemütsverfassung schlimmer war als zuvor. Seine Lüge war – obschon gut gemeint – lächerlich und unglaubwürdig. Hätte er ein wenig mehr Wahrheit hineingemischt, wäre es für sie beide besser gewesen. Er mußte versuchen, die verfahrene Sache wieder ins Gleis zu bringen.
    »Mir scheint«, sagte er freundlich, »daß es nur Ihre Gesichtsnarben sind, die Ihnen wirklichen Kummer bereiten. Um ehrlich zu sein, mich stören sie auch ein wenig. Aber angenommen, ich schließe ein Auge, so daß ich die schlimme Seite nicht sehe – dann küsse ich eines der hübschesten Gesichter, die ich je gesehen habe.«
    Er erstickte ihre Einwendungen und sorgte diesmal dafür, daß der Kuß nicht eine flüchtige Berührung der Lippen blieb. Es war wie das Küssen einer Marmorstatue, eines kalten und unbeweglichen Marmorgesichts mit Unvollkommenheiten auf einer Seite. Sie setzte ihre Hand gegen seine Brust, stieß ihn jedoch nicht zurück, und plötzlich fühlte er sich von ihren Armen umschlungen.
    Es war keine leidenschaftliche Umarmung, dachte Wallis, eher von der Art, wie sie ein großer Bruder von seiner ängstlichen kleinen Schwester bekommt, wenn Gefahr im Verzug ist. Auch der Kuß, so sagte er sich, war alles andere als leidenschaftlich, obwohl ihre Lippen weicher und wärmer zu werden schienen. Mit seinem offenen Auge konnte er sehen, daß ihr Gesicht sich entspannte. Vielleicht war er doch kein so schlechter Psychologe, und sein Opfer war der Mühe wert, wenn es half, ihre seelische Bedrückung zu lindern. Wenn er nun langsam bis zehn zählte und sich dann mit sanfter Entschlossenheit aus der Umklammerung ihrer Arme befreite, konnte sie ganz gewiß nicht denken, daß dies ein widerstrebender Kuß gewesen war.
    Plötzlich kam eine Veränderung in ihren Gesichtsausdruck, ein eigenartiges Spiel von Licht und Schatten, als gäbe es im Raum zwei Lichtquellen statt einer. Wallis löste sich in hastiger Verlegenheit von ihr.
    »Ich gehe und komme in einer Minute wieder«, sagte Dickson mit sorgfältig neutraler Stimme. Er tat es und fügte hinzu, ohne die beiden anzusehen: »Das Frühstück ist fertig, wenn jemand daran interessiert ist.«
     
    11
     
    An Bord des Flaggschiffes von Unthan waren die Probleme nicht mehr so sehr persönlicher als vielmehr technischer Natur. Die Lebensmittelvorräte waren für eine Mannschaft, die den längsten Teil der Reise in Tiefschlaf verbrachte, reichlich bemessen, konnten aber unmöglich die Bedürfnisse einer kleinen und beständig wachsenden Bevölkerung decken, die viele Generationen lang täglich ernährt werden wollte. Darum mußte Nahrung erzeugt werden. An geeignetem Saatgut herrschte kein Mangel, doch zum Heranwachsen der Nahrung war Wärme nötig, die, ließ man die nötigen Vorsichtsmaßnahmen außer acht, fatale Auswirkungen auf die gekühlten Passagiere haben konnte.
    Zum Glück war die Mannschaft des Flaggschiffes eine Elite, zusammengestellt aus Spitzenkräften der verschiedenen Fachrichtungen, und so machten die rein technischen Probleme lange Schwierigkeiten. Anders sah es mit der schriftlichen und auf Band gespeicherten Wiedergabe dieses technischen Wissens aus, das ihnen die Lösung solcher Probleme ermöglichte. Organisation und Aufbereitung des Stoffes, der die Materialfülle aller Wissensgebiete in sich vereinigte, bereiteten ihnen schwere und anhaltende Sorgen, selbst noch dann, als die Unterlagen vollständig waren und eigentlich kein Grund mehr

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