Gefangene des Meeres
bestand, die Kühlung weiter zu verschieben.
Nur die Aufzeichnungen Hellahars und des Kapitäns waren noch weit davon entfernt, vollständig zu sein, einmal, weil sie den Rest ihres Lebens Zeit hatten, sich damit zu befassen, und zum anderen, weil ihre Probleme weitaus schwieriger zu übersehen und zu lösen waren. Wie, zum Beispiel, sollte man verhindern, daß es einige Generationen später an Bord des Flaggschiffes zu einer kleinen Bevölkerungsexplosion kam? Deslann hätte es gern gesehen, wenn die Mannschaft noch ein wenig länger aktiv geblieben wäre, sei es, daß er ihre Gesellschaft zu vermissen fürchtete, sei es, daß er ihre moralische Unterstützung brauchte. Der Heiler war ehrlicher und erklärte, je länger sie blieben, desto weiter könne man jene üble Stunde hinauszögern, wo der Kapitän und er mit der Gründung ihrer Dynastien beginnen mußten.
Mittlerweile hatte die Mannschaft einen Punkt erreicht, wo sie keiner sinnvollen Beschäftigung mehr nachgehen konnte und kostbare biologische Zeit vergeudete. So sah sich Deslann nach einem vorbereitenden Gespräch mit dem Heiler genötigt, sie zum letztenmal in der Kommandozentrale um sich zu versammeln.
Er und der Heiler verabschiedeten sich formell von jedem Mitglied der Besatzung. Trotz der gemessenen und würdevollen Worte, die bei dieser Gelegenheit gewechselt wurden, konnte Deslann nicht übersehen, daß sie Angst hatten, Angst um sich selbst und um die Tausende von Schicksalsgenossen in der Flotte, Angst um ihre Rasse und Angst vor einem persönlichen Schicksal, das ihnen ein Erwachen aus dem Kälteschlaf verwehren würde.
Deslann konnte nur wenig zu ihrer Beruhigung sagen, aber er mußte es wenigstens versuchen.
»Der Heiler und ich werden dafür Sorge tragen«, begann er, »daß Sie vor dem anderen Kapitän wiedererwärmt werden. Auf diese Weise werden Sie in der Lage sein, ihm die gegenwärtige Situation zu erläutern. Ich weiß nicht, was Sie zum Zeitpunkt der Wiederbelebung hier an Bord vorfinden werden, nur, daß es ungewohnt und überraschend sein wird.
Wenn wir die Sache pessimistisch sehen wollen«, mutmaßte Deslann, »dann besteht immer die Möglichkeit, daß unsere künftigen Generationen von Kapitänen und Mannschaften das Schiff so schlecht verwalten, daß Sie nie wieder zum Leben erweckt werden. Keiner von uns kann wissen, ob die Anlagen durch unsachgemäße Behandlung beschädigt werden oder nicht, oder ob unsere Abkömmlinge einander aus diesem oder jenem Grund umbringen werden. Auch könnten Sie erwachen und die Feststellung machen müssen, daß dieses Schiff oder die Flotte oder alle beide das Zielgebiet verfehlt haben, ohne daß sich noch etwas daran ändern ließe.«
Deslann sah ihre bestürzten Mienen und ärgerte sich über sich selbst. Dies soll eine aufmunternde Ansprache sein, wies er sich zurecht; du darfst ihren Sorgen nicht noch die eigenen hinzufügen!
»Aber ich glaube«, nahm er den Faden wieder auf, »daß Sie sich alle unbesorgt und zuversichtlich zur Ruhe begeben können, denn die Möglichkeiten, die ich eben angedeutet habe, sind außerordentlich unwahrscheinlich. Niemand weiß besser als Sie, welche Mühe und welche sorgfältige Arbeit in den Bandaufnahmen und Lehrbüchern für die kommenden Generationen stecken. Sie können versichert sein, daß Sie alles getan haben und wir alles tun werden, damit dieses Schiff fachmännisch geführt wird und daß Sie das Zielgebiet erreichen werden. Danach …«
Deslann brach ab und beobachtete die Gesichter Gerrols und der anderen, wie sie darüber nachdachten, was danach geschehen würde. Die Wahrheit war, daß niemand von ihnen genau voraussagen konnte, was geschehen würde, nur daß sie sich in der Nähe einer kühlen Welt mit gewaltigen Ozeanen befinden würden, daß sie diese Ozeane würden untersuchen und in der richtigen Tiefe Siedlungsplätze würden auswählen müssen. Diese hatten von feindlichen Lebensformen möglichst frei zu sein, damit das Gros der Flotte ohne Gefahr würde wassern können. Das Ende der Reise mochte sich als ihr gefährlichster und schwierigster Teil erweisen, zugleich aber auch als ihr lohnendster, und Deslann hatte erwartet, sowohl die Gefahren als auch die Belohnungen mit den anderen zu teilen. Nun war dieser Traum ausgeträumt. Was er erwarten durfte, war ein Leben voll Arbeit und Sorge und Hoffnung, und die Hoffnung war so schwach, daß sie manchmal an offenen Selbstbetrug grenzte.
Weder für ihn noch für Hellahar oder die
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