Gefangene des Meeres
ungeborenen Nachkommen würde es je eine Belohnung geben. Nicht zum erstenmal empfand er mitleidige Sympathie für alle die künftigen Mannschaften, deren Leben sich in Dekaden ungelohnter Arbeit erschöpfen würde. Seine gegenwärtige Mannschaft wußte gar nicht, in welch glücklicher Lage sie sich befand.
»Wir werden einander nicht wiedersehen«, sagte Deslann ernst. »Sie aber werden schon in kurzer Zeit wieder zusammenkommen, weil es im Zustand der Überwinterungsanästhesie keinen meßbaren Zeitablauf gibt. Niemand kann sagen, mit welcher Situation Sie nach Ihrem Wiedererwachen konfrontiert werden. Machen Sie sich auf Veränderungen in der Sprache und in manchen Lebensgewohnheiten gefaßt. Rechnen Sie mit einem gewissen Maß an Degeneration. Für Sie werden alle diese Veränderungen den Anschein haben, als seien sie innerhalb weniger Minuten gekommen, also werden sie den Charakter eines Schocks tragen. Ganz gleich, zu was die zukünftige Mannschaft geworden ist oder wie sie sich benimmt, ich bitte Sie dringend, ihr mit Sympathie und Verständnis zu begegnen. Und sei es auch nur aus dem Grund, daß ihre Vorfahren einmal Ihr Heiler und Ihr Kapitän waren.«
12
Der Streit entzündete sich an der Frage, welcher Verwendung die restlichen Sauerstoffbehälter zugeführt werden sollten. Als die »Gulf Trader« wieder einmal zu sinken begonnen hatte, war das Azetylen ausgegangen, und sie mußten es mit Sauerstoff ergänzen. Dickson vertrat den Standpunkt, daß es bei einem erneuten Absinken des Wracks unsinnig wäre, die Schwimmfähigkeit mit Sauerstoff wiederherzustellen, wenn sie ohnehin ersticken müßten, während der Doktor erklärte, daß die Erstickungsgefahr noch nicht akut sei und daß sie so lange wie möglich in der Nähe der Oberfläche bleiben und das Beste hoffen müßten. Wallis kam gerade noch rechtzeitig dazwischen.
Die beiden Männer waren größer und schwerer als er, aber er hatte an einem meterlangen Rohrstück gefeilt, als der Streit ausgebrochen war, und so sah er sich in der Lage, aus einer Position der Stärke heraus zu verhandeln. Er sagte ihnen, daß sie wahrscheinlich nicht streiten würden, wenn sie weniger unter Sauerstoffmangel und Kopfschmerzen litten, daß diese Kopfschmerzen aber noch viel schlimmer würden, wenn sie nicht sofort anfingen, sich gesittet zu benehmen. Das wirkte. Sie machten beschämte Gesichter, und danach ließen sie es nie wieder zu Drohungen mit Handgreiflichkeiten kommen, obwohl sie fast ständig stritten.
Als das Wrack wieder beängstigend ruhig wurde und keine Wellenbewegungen mehr zu spüren waren, schlossen sie die Sauerstoffbehälter an, bis das Schiff neuen Auftrieb bekam. Die Hälfte des Sauerstoffvorrates ging bei diesem Versuch verloren, und die Atemluft in den Tanks wurde zusehends schlechter. Es war so schlimm, daß zwei Mann am Generator die Pedale treten, und ein dritter mit einer Sauerstoffflasche bereitstehen mußte, um im Falle einer Ohnmacht Hilfe zu leisten. Wer nicht am Generator beschäftigt war, blieb im Garten bei den jungen Bohnenpflanzen, wo die Luft – wie sie sich einbildeten – frischer zu sein schien.
An einem Tag Mitte Juni, als die Mädchen im Garten waren und die Männer am Generator arbeiteten, kam das Thema ihrer Luftversorgung zur Sprache – nicht zum erstenmal an diesem Tag.
»Kohlendioxyd ist schwerer als Luft«, fing Radford auf einmal an, »und die Öffnungen zwischen den Tanks liegen ziemlich hoch. Könnte man nicht Ventilatoren installieren, damit die gute Luft der oberen Schichten zirkulieren kann?«
»Die würden uns nur den fauligen Gestank aus den Tanks elf und zwölf hereinblasen«, entgegnete Dickson. »Dann könnten wir überhaupt nicht mehr atmen, von arbeiten gar nicht zu reden.«
»Wir brauchen den Generator«, sagte Radford trübe. »Bei Tageslicht absorbieren die Pflanzen CO2 und setzen Sauerstoff frei. Bei Dunkelheit setzen sie überschüssiges CO2 frei und produzieren überhaupt keinen Sauerstoff …«
»Diese interessante biologische Tatsache«, unterbrach Dickson, »haben Sie uns schon früher nahegebracht, Doktor. Auch daß der Garten gedeiht. Aber wenn das der Fall ist, warum spüren wir dann keine Auswirkungen?«
»Weil im Vergleich zu der Blattoberfläche der Pflanzen hier unten soviel verbrauchte Luft ist!«
»Sie sollten beide ein bißchen Spazierengehen«, sagte Wallis. »Vielleicht kommen Sie dann auf andere Gedanken. Oder Sie einigen sich auf ein anderes Thema.«
Niemand lachte
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