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Gefangene des Meeres

Gefangene des Meeres

Titel: Gefangene des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James White
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mehreren mißlungenen Anläufen sagte er: »Wissen Sie, ich halte es für eine gute Sache, daß wir hier unten eingeschlossen waren, als das Schiff torpediert wurde. Hätten wir uns oben aufgehalten, wäre uns wahrscheinlich nichts anderes übriggeblieben, als über Bord zu springen. Anschließend hätten wir vielleicht drei oder vier Tage in einem Rettungsboot oder auf einem Floß zubringen müssen. Was das in einem Sturm bedeutet, können Sie sich selber ausmalen. Gut möglich, daß wir es nicht überlebt hätten. Sie und Miß Wellman wären sicher nicht mit dem Leben davongekommen, verletzt und bewegungsunfähig wie Sie waren. Sie könnten längst tot sein und sind immer noch am Leben.
    Ich weiß, daß es kalt ist«, fuhr er fort, »und daß die Luft schlecht wird. Aber der Sommer steht vor der Tür, der Doktor hat seine Bohnenpflanzen so weit, daß man Resultate sehen kann, wir haben viel zu essen, ausreichend Trinkwasser und sind trocken. Es kann noch lange dauern, bis man uns finden wird, aber wir können auf Rettung hoffen. Es gibt also keine unmittelbaren Gefahren, vor denen Sie sich fürchten sollten, nichts, das Sie um Ihren Schlaf bringen sollte …«
    Sie blieb lange still. »Ich – ich verstehe, Sir«, raffte sie sich schließlich auf. »Hier unten können wir nicht noch mal torpediert werden.«
    Wallis grinste gequält. Sie hat einen Knacks, dachte er. »Genauso ist es«, sagte er laut.
    »Ich habe einmal gut ausgesehen, müssen Sie wissen«, fing sie an. »Und ich weiß, wie ein verbranntes Gesicht aussieht. Mein – mein Freund ist mit dem Fallschirm aus einem brennenden Flugzeug abgesprungen. Sein Gesicht war furchtbar entstellt. ›La Belle et la Bête‹, pflegte er meinen Eltern zu sagen.«
    Sein Lächeln wurde noch gequälter. »Es will einiges heißen, daß sein Aussehen Sie nicht gehindert hat, ihn gern zu haben. Wie dem auch sei, aus diesem Krieg werden viele Menschen Narben davontragen, und narbenbedeckte Helden verdienen besonderen Respekt. Das gleiche gilt für Heldinnen, obwohl die Gesichtschirurgen bei ihnen besonders bemüht sein werden, die Schäden zu reparieren. Aber Sie haben Glück gehabt. Wenn die Ärzte Sie nicht vollständig wiederherstellen können – und der Doktor sagte mir, daß es wahrscheinlich zu machen sein werde –, sind Sie imstande, sich würdig an die Seite Ihres Freundes zu stellen.«
    Sein Tonfall schien ein wenig zu munter und herzlich gewesen zu sein, zu wenig einfühlend. Sie begann wieder zu weinen. Er klopfte ihr begütigend und unbeholfen auf die Schulter. Durch die Bewegung löste sich der Schal, den sie um ihren Kopf geschlungen hatte, und enthüllte ihre verwüstete linke Gesichtshälfte. Sogar das Haar war auf dieser Seite in Mitleidenschaft gezogen; an den Wurzeln war es grau, und an manchen Stellen hatte es nicht mehr nachwachsen können. Das einzige Gute daran war, daß es gerade noch ihr verbranntes und deformiertes Ohr bedeckte. Wallis hatte dem Arzt einige Male geholfen, dieses Ohr zu verbinden, und er hatte nicht unbedingt den Wunsch, es noch einmal zu sehen. Aber das Erschreckendste an Miß Murrays Gesicht war, daß die rechte Hälfte glatt und unbefleckt und schön war.
    »Es tut mir leid«, sagte Wallis. »Ich hätte nicht darüber scherzen sollen.«
    »Wir waren verlobt«, murmelte sie. »Nicht lange. Dann kam er ums Leben.«
    »Entschuldigen Sie«, sagte Wallis lahm. Er wünschte sich tot oder wenigstens anderswohin.
    »Machen Sie sich keine Gedanken«, sagte das Mädchen. »Ich hatte ihn nicht so sehr gern. Aber er war damals über sein entstelltes Gesicht so verzweifelt, daß ich mich verpflichtet fühlte. Vielleicht hätte er mich auch so genommen, wie ich jetzt bin, aber kein anderer würde es tun. Ihre narbigen Kriegshelden werden schöne Mädchen wollen, keine weiblichen Gegenstücke zur eigenen Häßlichkeit. Ich kann mich selbst nicht sehen, aber der linke Mundwinkel ist steif und gespannt, und mein Auge ist anders als das rechte, und mein Gesicht ist wie – wie Baumrinde. Können Sie sich jemanden vorstellen, der bei meinem Anblick nicht den Wunsch hätte, sich abzuwenden? Können Sie sich jemanden vorstellen, der es küssen würde?«
    »Ja«, sagte Wallis, aber es war eine freundliche, wohlmeinende Lüge. Aus Motiven, die sowohl uneigennützig als egoistisch waren, versuchte er ihr ein wenig Mut zu machen, das war alles. Sie sollte nicht soviel weinen und sich selbst und die anderen um den Schlaf bringen. Aber als er sie von der

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