Gefangene des Meeres
ungestüme Jugend gegen senilen Altersstarrsinn kämpfte. Wegen der Notwendigkeit, Lebensmittel, Wasser und auch Luft möglichst sparsam zu verbrauchen, gab es außer geistiger Betätigung fast nichts zu tun, so daß körperliche Methoden der Selbstverwirklichung bei alt und jung im gleichen Mißkredit standen. Schlägereien waren in einer so geschlossenen und von der Umwelt bedrohten Gemeinschaft undenkbar. Und während die Jungen von geistigem Ungestüm sein mochten, waren die Alten keinesfalls senil. An Bord der »Gulf Trader« war ein solcher Zustand unbekannt.
Der Doktor hatte gute Gründe für die Annahme, daß sein überkommenes medizinisches Wissen im Laufe der Jahre weniger Veränderungen erfahren hatte, als anderes, durch das Spiel von einer Generation zur nächsten weitergegebenes Material. Die Disziplin seiner traditionell unverheirateten Vorgänger war sprichwörtlich gewesen. Doktor Radford, der erste in dieser Reihe, hatte einmal erklärt, daß zwar ihre Haare und Zähne ausfallen könnten, sie aber dank ihres geistigen Trainings durch das Spiel nie würden befürchten müssen, zu Trotteln zu werden.
Der Doktor durchquerte Tank zwölf und begann die Leiter zu erklettern. Obwohl es stockdunkel war, fand er die Sprossen mit traumwandlerischer Sicherheit. Erst als er den Durchstieg hinter sich hatte, erreichte ihn der trübe, bläulichgraue Lichtschimmer, der durch die Bullaugen drang. Er grüßte die fünf jungen, mit gekreuzten Beinen am Boden der Kabine hockenden Leute, stieg über sie hinweg und trat ans Bullauge. Während sie ihr Gespräch fortsetzten, blickte er hinaus.
Die Umrisse der Navigationsbrücke, der Deckaufbauten und des hohen Riffs backbords waren von einer fast beängstigenden Schwärze, wie wenn das schwache, von der Oberfläche herunterdringende Licht von ihnen absorbiert und verschluckt würde.
Es war eine mondhelle Nacht dort oben, mit wenigen oder gar keinen Wolken. Wolken waren formlose Wasserdampfansammlungen in großer Höhe, die den Mond völlig verdunkeln konnten, das Sonnenlicht jedoch durchließen, und die unter gewissen Bedingungen über weite Flächen Wasser ausschütteten – aber langsam, wie eine Decke mit Hunderten winziger Lecks. Der Mond war ein trockener, atmosphäreloser Körper von annähernd planetarischen Dimensionen, der die Erde in einer Entfernung von ungefähr 384000Kilometern umkreiste und das Sonnenlicht zur Erde reflektierte …
So oder ähnlich hätten es die Alten ausgedrückt. Und wenn man sie gefragt hätte, wären sie mit einer erdrückenden Menge weiterer astronomischer und meteorologischer Informationen herausgekommen. Aber die jüngeren Leute, die da herumsaßen, hätten vielleicht mit einer anderen Erklärung aufgewartet, zum Beispiel, daß die Leute an der Oberfläche ihren Hilfsgenerator betrieben, während sie die Verdrahtung des großen Generators reparierten, genauso wie sie es hier im Schiff taten. Besonders der dreizehnjährige Arthur Sullivan Wallis neigte zu solchen Erklärungen äußerer Phänomene. Der Doktor wußte, daß die Leute im Vorschiff an ihre Sonne und ihren Mond glaubten, daß Arthur Sullivan Wallis andererseits noch gewisse Zweifel an der Existenz seines Riesengenerators an der Oberfläche hegte, dessen Betrieb Tausende von pedaltretenden Leuten erfordern mußte. Wenn man die Situation genauer betrachtete, so kam man zwangsläufig zu dem Schluß, daß Arthur Sullivan Wallis an nichts fest glaubte.
Im Augenblick war allerdings nichts Häretisches an dem, was er sagte. Der Doktor wandte sich vom Bullauge ab, um ihrer Diskussion zu lauschen.
»… also kann die Nahrung nicht ewig reichen, selbst wenn wir die künftige Bevölkerung drastisch reduzieren«, sagte Arthur gerade. »Jeder von uns stimmt dieser Maßnahme zu, besonders diejenigen unter uns, die kürzlich zum erstenmal Eltern geworden sind und erkannt haben, was für eine gefährliche und schmerzhafte Sache die Geburt eines Kindes ist. Aber gewöhnlich versuchen sie erst nach dem zweitenmal etwas dagegen zu tun. Jedenfalls geht die Bevölkerung wegen der verschlechterten Lebensbedingungen zurück. So niedrig, wie unsere Zahl mit insgesamt zwölf Personen zur Zeit ist, war sie noch nie, seit …«
»Wir könnten mehr Nahrung anbauen«, sagte seine Schwester Irene MacDougall Wallis.
»Das würde auch unseren Kleidungssorgen abhelfen«, meldete sich ihr Cousin, Bing Churchill Dickson. »Aus Pflanzenfasern kann man zwar keine Overalls machen, weil der Stoff zu
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