Gefluesterte Worte
und es gäbe keine ungläubigen Skeptiker, weil sie jedermann gestatten würden seinen Glauben zu haben, ohne ihn zu verlachen und zu verachten. Hat doch Lombroso versucht, dieUnglücklichsten der Menschen, die Verbrecher, zu verstehen, und Duldsamkeit auch für diese zu erlangen. Sogar dem Genie will er Duldsamkeit verschaffen, das doch von der allgemeinen Mittelstraße verpönt und verachtet wird. Er schlägt dazu freilich einen sonderbaren Weg ein, indem er es unter die Wahnsinnigen rechnet, bloß weil es von der allgemeinen Auffassung abweicht, aber es ist doch seine Art der Duldsamkeit, da wo viele Menschen vollkommen unduldsam sind. Sie können es nicht vertragen, daß ein Mensch ein Goldkörnchen gefunden hat, das ihrem Auge entgangen ist. Es ist leider viel Eifersucht bei der Verfolgung der Genialität, auch ist die Unmöglichkeit zu begreifen, wie einem solchen Wesen die Welt erscheint und was für eine Traumwelt es bewegt, mehr als die kalte Wirklichkeit, die in seinem Leben gar keine Rolle spielt, während die andern so überaus wichtig erscheint.
Duldsamkeit ist des Christentums wie der Bildung höchste Errungenschaft, Duldsamkeit ist reine Philosophie, reine Erkenntnis, reine Selbstentäußerung, die größte Entfernung von allem Wahnwitz; denn der Wahnwitzige ist in eine einzige Idee verrannt undhat keinen Raum und keine Duldsamkeit für andre.
Duldsamkeit ist wie eine große schöne Bildergalerie, in welcher alle Schulen vertreten sind, und alle Meister friedlich nebeneinander wohnen, weil in dem weit ausgebildeten Gehirn Raum ist für alle, und Anerkennung für jede Auffassung.
Duldsamkeit ist wie ein Dom, in welchem alle Menschen einkehren, die einen zum Beten, die andern zum Anschauen, die dritten um allein zu sein, die vierten um zu bewundern; Duldsamkeit ist wie eine große Abtei, in welcher viele weise Arbeiter sich versammeln und aller Streit ausgeschlossen ist, weil jeder seine Zelle und seine Einsamkeit hat, und man sich nur versammelt, wenn man vollkommen friedlich und harmonisch sein kann, weil man des Tages Denkarbeit hinter sich läßt in heitrer Ruhe und Weltabgeschiedenheit.
Freude
Hast du dich schon einmal so von ganzer Seele, aus aller deiner Kraft und mit all deiner Dankbarkeit gefreut, liebe Seele? Hast du gefühlt, wie es in dir aufjauchzte vor Entzücken, vor Überraschung, vor unsagbarer Seligkeit?
Weißt du wirklich was das ist: Freude?
Oder was noch viel schöner ist: Hast du in deinem Leben schon die Gelegenheit gehabt, Freude zu machen? Weißt du Seele, was das für ein Glück ist, Freude zu machen? Es ist vielleicht das einzige wirkliche, unzerstörbare Glück, das uns auf Erden geschenkt ist, und wir können nicht dankbar genug dafür sein. Wir wissen selbst nicht, welch hohe Gabe es ist, da wir oft nicht im Stande sind, den Grad der Freude zu ermessen, die wir bereitet haben. Meistens macht man mehr Freude als man es gedacht, und tut auch weher als man es gewollt oder gefürchtet hat. Man liest so schwerdas wunderbare verschlossene Sphinxbuch: Eine andere Seele! Man steht davor und fragt sich, wie man hineindringen soll und ob man hineindringen darf. Um sichersten und besten dringt man mit einer großen und tiefen Freude hinein, nicht mit einem überwältigenden Geschenk, das vielleicht nicht den Wünschen des andern entspricht, oder ihn sogar peinlich demütigt, weil es unverhältnismäßig ist: aber mit einer ganz kleinen liebevoll erdachten Freude, damit kann man Wunder tun. Eine Dame hatte gehört, daß eine andere in bitterste Not geraten war, und nicht wußte wie sie ihre zahlreiche Familie ernähren sollte, obgleich sie nicht zu stolz war, die geringste Arbeit zu verrichten, von früh bis spät. Sie besuchte sie und fand sie nicht zu Hause, ließ aber ein Veilchensträußchen für sie zurück als Liebesgruß. Die Verarmte freute sich mehr über dieses Freundschaftszeichen als über ein Geschenk, das ihr nur demütigend gewesen wäre, Freude machen ist eine ganz besondere und sehr große Kunst, die nur in des Herzens feinsten Tiefen erblühen und gepflegt werden kann. Denn es ist nicht leicht, es richtig anzufangen und es gelingt nur dann, wenn man sich ganz in die Seeledes andern versetzt und sich mit ihm freut, als wäre einem das Geschenk zu teil geworden; manchmal ist ein Wort eine große Freude, manchmal ein Blick, ein Lächeln, ein Winken, ein Händedruck, der aus des Herzens Grunde gekommen ist, und oft unbewußt getröstet und erquickt hat. Man
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