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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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in sich auf. Auf der Kommode stand ein großes Kofferradio, daneben befanden sich Ständer mit Kassetten. An den Wänden hingen Poster von Rap-Stars: Tupac, Ice T., Puff Daddy. Ein Schreibtisch, dessen Schreibfläche mit einer Weltkarte unterlegt war. Ein Macintosh-Computer stand genau über dem Kontinent Afrika. Bücherregale schlossen sich rechts und links an. Cardinal war sich sicher, dass Mr. Curry sie gezimmert hatte. Er fuhr mit der Hand am Rand der Antarktis entlang. »Schöner Schreibtisch«, sagte er anerkennend und ging in die Hocke, um Todds Bücher zu betrachten.
    »Ja, den habe ich gemacht. Es war einfach, wirklich. Aber trotzdem, so etwas baut man natürlich nicht in ein paar Stunden zusammen. Todd mochte ihn nicht, das war ja klar.«
    »Oh, in dem Alter kann man es Jungen nur schwer recht machen.«
    »Todd und ich sind nicht besonders gut miteinander ausgekommen, um ehrlich zu sein. Ich wusste nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Mal habe ich es mit Nachsicht versucht, mal mit Härte. Offenbar ohne Erfolg. Jetzt wünschte ich mir, er wäre hier.«
    »Ich bin sicher, Sie hätten sich beide vertragen«, tröstete ihn Cardinal. »In den meisten Familien ist das so.« Die Bücher im Regal:
Die Schatzinsel
,
Der Fänger im Roggen
, mehrere Nummern eines Fortsetzungsromans über die Hardy Boys, alles ziemlich verstaubt. Todds übrige Bibliothek bestand aus Science-Fiction-Taschenbüchern mit grellen Umschlägen. Er war versucht, Mr. Curry vom Verhältnis zu seiner Tochter zu berichten, wie sie als Teenager mehr als einmal gesagt hatte, sie hasse ihn, und wie gut er jetzt mit ihr auskomme. Doch das wäre in die falsche Richtung gegangen.
    »Todd und ich haben nicht mehr die Chance, uns jemals zu vertragen. Das ist das Schreckliche.« Mr. Curry machte, von der Dringlichkeit seines Gedankens überwältigt, unvermittelt einen Schritt nach vorn. Er klammerte sich an Cardinals Unterarm. »Detective, ganz gleich, was Sie in dieser Welt tun, verschieben Sie das Wichtige im Leben nicht auf später. Gibt es etwas, das Sie aufschieben? Von dem Sie im Stillen denken, dass Sie abwarten wollen, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist? Ich meine, etwas Wichtiges, das Sie jemandem sagen wollen, den Sie lieben? Wenn das so ist, schieben Sie es nicht vor sich her. Verschieben Sie das Wichtige im Leben nicht auf später. Wenn es Worte sind, sprechen Sie sie aus, wenn es eine Geste ist, tun Sie es ruhig. Bei allem, was man so in den Nachrichten hört – ob Tornados oder der so genannte Windigo-Mörder –, bei allen Katastrophen denkt man immer, dass einem selbst so etwas nicht passieren kann. Aber Tatsache ist, dass man es nicht wissen kann. Wenn jemand aufsteht und zur Tür rausgeht, weiß man nicht, ob er jemals wiederkommt. Man weiß es einfach nicht. Es tut mir leid, ich rede wirres Zeug.«
    »Nein, nein, Mr. Curry, das ist schon in Ordnung.«
    »Ist es nicht«, widersprach er. »Ich habe nicht viel Erfahrung mit solchen Dingen.« Und wie um Nachsicht bittend fügte er hinzu: »Ich arbeite in der Versicherungsbranche.«
    »Sagen Sie mir, Mr. Curry, hat Todd den Computer da oft benutzt?« Cardinal zeigte auf den Macintosh. Unter dem Schreibtisch stapelten sich Handbücher und Videospiele. Außerdem war da noch ein Kabel, das den Computer mit einer Telefondose in der Wand verband.
    »Todd war kein Hacker, wenn Sie das meinen. Er hat den Computer vor allem für seine Hausaufgaben benutzt – wenn er sie denn gemacht hat. Das Ding ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln. In der Firma haben wir IBM-Rechner.«
    Cardinal machte den Wandschrank auf und sah sich Todds Garderobe an. Ein Anzug, ein Blazer, zwei Paar Hosen mit Bügelfalten – nicht gerade das, was ein Junge wie Todd häufig trug. Aufdem Regal darüber lagen mehrere Brettspiele: Monopoly, Scrabble, Trivial Pursuit.
    In der Kommode fand Cardinal neben den üblichen abgewetzten Jeans und zerrissenen T-Shirts einen Wust von Messing- und Blecharmbändern, Stücke von Ketten, mit Nägeln beschlagene Lederhalsbänder und -manschetten. Das musste nichts bedeuten; viele Jugendliche trugen so etwas heutzutage.
    »Meine Frau ist am Boden zerstört«, sagte Mr. Curry. Er stand jetzt wieder im Türrahmen. »Es ist schlimm, mit ansehen zu müssen, wie jemand, den man liebt, solchen Kummer hat. Und nichts dagegen tun zu können …« Er hatte von Kummer und Leid gesprochen, und als besäßen die Wörter eine dämonische Kraft, brachen jetzt auch bei ihm alle Dämme. Mr. Curry

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