Gefuehlschaos inklusive
der Adresse geirrt habe und mein wahrer Chef noch in einem anderen Lokal auf mich wartet? Dieser hier hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihm, aber ich habe große Zweifel an seiner Echtheit.
Den Rest des Abends sprechen wir über Geschäftliches und ich bin mir bald nicht mehr sicher, ob die erste Viertelstunde auch wirklich so ablief. Jetzt wirkt er wieder ganz wie der Alte. Aber möglicherweise ist es auch reine Fassade. Er verbirgt doch etwas vor mir. Kann es sein, dass mein Chef mich mag und mir das nie aufgefallen ist? Angestrengt denke ich nach und versuche, mich an Situationen in der Vergangenheit mit ihm zu erinnern. Irgendwelche Erlebnisse, die meine Annahme bestätigen könnten. Aber mir fällt nichts ein. Das muss allerdings nichts heißen, denn ich war ja viel zu sehr auf Ullrich fixiert.
„Frau Sander, wo sind Sie mit Ihren Gedanken?“, wundert er sich.
„Äh, was haben Sie gerade gesagt?“
„Das bin ich von Ihnen überhaupt nicht gewohnt. Sie sind sonst immer mit ganzem Eifer bei Ihrer Arbeit. Dieser Mangel an Konzentration muss doch eine Ursache haben.“
„Entschuldigen Sie bitte, Herr Ruhland. Ich habe nur ein bisschen viel um die Ohren in letzter Zeit. Das ist alles.“
„Ich weiß, dass ich Ihnen einiges abverlange. Vielleicht erwarte ich auch zu viel. Sie sollten sich ein paar Tage Urlaub gönnen, bis es Ihnen wieder besser geht.“
Erstaunt schaue ich auf und bin mir nicht sicher, ob mir dieser Vorschlag in meiner derzeitigen Lage gefällt. Schließlich gibt es zurzeit nur eines, was mir über meinen Trennungsschmerz hinweghilft. Ablenkung. Und Urlaub wäre gerade absolut kontraproduktiv.
„Nein, nein, auf keinen Fall! Ich möchte keinen Urlaub nehmen. Bloß keinen Urlaub! Bitte verlangen Sie nicht von mir, dass ich mir frei nehme. Das geht nicht!“
Überraschend rollen ein paar Tränen über meine Wangen. Wieso heule ich denn jetzt? Das nächste Mal möchte ich bitte vorgewarnt werden, ich verliere ja völlig die Kontrolle über mich. Wie peinlich!
„Was ist bloß mit Ihnen, Frau Sander?“, fragt er verblüfft und greift nach meiner Hand.
Mir wird ganz warm, als sein Daumen über meine Finger streicht.
„Oh, gar nichts. Wirklich.“
Sag ihm doch einfach, dass dein Freund dich verlassen hat und du gerade im Begriff bist, dich in deinen Chef zu verlieben. Quatsch! Irgendwie bin ich komplett von der Rolle.
„Nun, sagen Sie schon, was los ist, Claudia. Ich verspreche Ihnen, es bleibt alles unter uns.“
Er hat mich gerade mit meinem Vornamen angesprochen. Ja, das hab ich ganz genau gehört. An den Ohren habe ich noch nichts. Da bin ich mir sicher. Plötzlich platzt es aus mir heraus. Ich erzähle ihm alles von Ullrich und mir, dass er sich von mir getrennt hat, ich daraufhin zu Sandra gezogen bin und ihn gestern mit seiner neuen Errungenschaft gesehen habe. Mein ganzer Kummer fließt förmlich aus meinem Mund heraus und ich kann es nicht stoppen. Ich fühle mich so wohl in seiner Gegenwart und habe auf einmal das Gefühl, ich könnte ihm mein ganzes Leben anvertrauen. Meinen Tränen lasse ich dabei freien Lauf. Sie machen ohnehin, was sie wollen. Er hält die ganze Zeit meine Hand und ich genieße diese kleine Geste der Intimität.
„Da machen Sie gerade wirklich viel durch. Wenn Sie Hilfe bei der Wohnungssuche benötigen, bin ich Ihnen gerne behilflich. Ich habe einige gute Kontakte.“
Ich schüttle ablehnend mit dem Kopf.
„Auf keinen Fall. Das schaffe ich schon allein. Trotzdem, vielen Dank.“
„Natürlich schaffen Sie das auch allein, daran habe ich keinen Zweifel. Wenn Sie aber doch mal etwas Unterstützung brauchen, dann sprechen Sie mich ruhig an.“
Ich nicke dankbar und könnte ihm für sein liebenswertes Angebot um den Hals fallen. Es fällt mir schwer, dies nicht zu tun.
Als Herr Ruhland und ich uns zu später Stunde verabschieden, kann ich kaum glauben, wie sehr es mir widerstrebt, den Abend zu beenden. Am liebsten hätte ich die ganze Nacht mit ihm geredet. Allerdings habe ich nicht viel von ihm erfahren. Wir haben tatsächlich nur über mich gesprochen. Das fällt mir erst jetzt auf und ich bringe es sofort zur Sprache, als wir uns die Hand zum Abschied reichen.
„Aber das nächste Mal reden wir über Sie, Herr Ruhland. Sie kennen jetzt mein halbes Leben, da wäre es nur gerecht, wenn ich etwas mehr über Sie erfahren würde.“
Er lächelt zurückhaltend und mit einem Mal befürchte ich, dass ich mit dieser Bemerkung einen Schritt zu
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