Gefürchtet
aus zwei Gründen ausgewählt. Erstens waren der Livingstone- und der Mosioa-Tunya-Nationalpark voller europäischer Touristen, da fielen zwei weitere weiße Gesichter nicht auf. Zweitens war der Ort hervorragend geeignet, um etwas über die Grenze zu schmuggeln.
Er hatte es doch schon fast geschafft. Hatte die Flasche aus dem Labor und dann aus Südafrika herausgebracht. Fehlte nur noch die Übergabe. Und die durfte er auf keinen Fall vermasseln.
Plötzlich brach ihm der Schweiß aus. Er war massig gebaut, und die Hitze setzte ihm ziemlich zu. Er wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirn und trank das Castle in einem Zug leer. Entspann dich. Wenn es so weit war, durfte er nicht aussehen wie halb durchgeknallt. Damit würde er sich nicht nur als Amateur präsentieren, sondern auch als leichtes Opfer.
Der Fluss kräuselte sich silbern im Wind. Er setzte das Fernglas an und suchte das südliche Ufer ab. Dort, vor dem Schilf, schaukelte ein Kanu im Wasser. Einheimische beim Angeln. Flussaufwärts ein Pontonboot auf einer abendlichen Sauftour mit sonnenverbrannten Holländern und Japanern. Reiche Leute, die wahrscheinlich im Victoria Falls Hotel drüben in Simbabwe wohnten. Das schöne, das gruslige Simbabwe, zerstört durch Gier und egoistische Grausamkeit. Kaputtgemacht durch - wie hieß es so schön? Intrigen.
Auch seine Zukunft wäre um ein Haar von Intrigen ruiniert worden. Er war schlau, das sagten alle. Jeden Morgen vor dem Spiegel hatte er sich eingehämmert: Du bist schlau, du bist wichtig. Das Projekt war wichtig. Es abzuwürgen war kriminell.
Aber nicht mit ihm. Die Arbeit der Firma durfte nicht einfach in ei nem schwarzen Loch verschwinden. Er würde dafür sorgen, dass sie in die Hände von Leuten gelangte, die etwas damit anfangen konnten. Seine Bezahlung war ein angemessenes Dankeschön für gute Dienste.
Und die Übergabe in einem zerstörten Land war die Gewähr dafür, dass niemand in der industrialisierten Welt etwas davon mitbekam.
Die Sonne glitzerte auf dem Wasser. Der Fluss schimmerte wie eine Quecksilberbahn, die sich durch die weite grüne Ebene ergoss. Was stand in dem Hotelprospekt? Wenn der Fluss Hochwasser führte so wie jetzt, rauschten jede Minute sechshundert Millionen Liter über die Victoriafälle. Unglaublich.
Lesniak zog noch ein Bier aus der Kühlbox. Er musste ruhig bleiben und zeigen, dass er den Mumm hatte, das hier durchzuziehen. Als er das Bier aufmachen wollte, klackerte der Flaschenöffner gegen das Glas. Vielleicht war es der große Chevy-Motor, der so vibrierte. Nein, eher nicht.
In weitem Bogen lenkte Captain Wally das Boot zur Flussmitte. Von einer Insel weiter vorn flogen Reiher auf, die sich blendend weiß von dem violetten Wasser und dem grünen Ufer abhoben. Der Himmel über ihm war keramikblau.
Hier wurden die meisten Touristen vollgeschwafelt: Schauen Sie, ein Nilpferd. Sehen Sie den Baumstamm da drüben? Das ist kein Baumstamm, sondern ein Krokodil. Aber
Lesniak hatte darauf bestanden, nicht angesprochen zu werden. Dafür hatte er bezahlt.
Und noch etwas draufgelegt für den klei nen Zwischenstopp. Wieder schielte er auf die Uhr. In zwei Minuten sollten sie die Grenze nach Simbabwe überqueren. Er trank die Flasche halb leer und machte sich bereit.
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Die Strafe
von Meg Gardiner
ISBN 978-3-453-26596-7
Die Originalausgabe JERICHO POINT erschien 2004 bei Hodder and
Stoughton, a division of Hodder Headline, London
Vollständige deutsche Erstausgabe 11/2009
Copyright © 2004 by Meg Gardiner
Copyright © 2009 by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Tamara Rapp
Umschlagillustration: plainpicture / Johner
eISBN : 978-3-641-03744-2
www.heyne.de
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