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Gegensätze ziehen sich aus

Titel: Gegensätze ziehen sich aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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verabredet bin«, sagte Anton. »Ich regele die Scheidung, weißt du.«
    »Du regelst die Scheidung für deine Tante Jule und deinen Onkel Fred?«
    »Nur für Onkel Fred«, sagte Anton. »Tante Julchen hat sich einen eigenen Anwalt genommen. Ich habe ihn ihr selber empfohlen, schließlich ist sie die beste Freundin meiner Mutter.«
    »Na, aber das kannst du doch nicht machen«, sagte ich entrüstet. »Die arme Tante Jule! Der Mann verlässt sie für eine Jüngere, und du vertrittst ihn, damit er sie noch richtig über den Tisch ziehen kann?«
    »Keineswegs«, sagte Anton. »Das wird alles ganz fair ablaufen.«
    »Haha«, sagte ich.
    »Na hör mal, ich kann doch das Mandat für den besten Freund meines Vaters nicht ablehnen«, sagte Anton.
    »Ich finde schon«, sagte ich. »Ich finde, du solltest überhaupt keine alten Säcke vertreten, die ihre Frauen verlassen und sich eine Jüngere anlachen.«
    Anton schwieg einen Moment. Wahrscheinlich hatte ich seine Anwaltsehre beleidigt.
    »Tja«, sagte er schließlich. »Wenn ich das nicht machen würde, hätte ich auf jeden Fall deutlich mehr Freizeit. Genau genommen wäre ich sogar mehr oder weniger arbeitslos.«
    »Du könntest dich ja auf Fahrerflucht und solche Sachen spezialisieren«, schlug ich vor, und da lachte Anton wieder.
    * * *
    Seit Herr Wu, der taiwanesische Gemüsehändler im Rosenkäferweg, wusste, dass wir bald seine Ladennachbarn sein würden, bekam ich bei jedem Einkauf etwas geschenkt, mal einen Granatapfel,mal eine Aubergine oder eine Orange. Herr Wu hatte auch gute Ideen, was wir außer Schuhen sonst noch verkaufen konnten.
    »Mein Neffe produziert in Taiwan sehr hochwertige Brillenetuis«, hatte er letzte Woche gesagt, und tatsächlich: Das Brillenetui, das er mir zeigte, war entzückend. Es war aus grünem, geprägtem Kunstleder, wie ein Krokodil geformt, und das Auge des Krokodils war ein funkelnder Glaskristall. Ein anderer Neffe von Herrn Wu produzierte die dazu passenden Sonnenbrillen.
    Mimi stand mit dem Neffen von Herrn Wu bereits in Verhandlungen.
    »Der Urenkel eines Freundes meiner Mutter exportiert Recycling-Gummistiefel«, sagte Herr Wu heute, als ich ein Körbchen Himbeeren bezahlte. »Das wäre vielleicht etwas für Ihren Laden.«
    Er reichte mir eine Khaki-Frucht.
    »Vielen Dank, Herr Wu. Aber Sie sollen mir nicht immer etwas schenken.«
    »Für die Kinder«, sagte Herr Wu. »Wollen Sie sich die Gummistiefel mal anschauen?«
    Recycling-Gummistiefel stellte ich mir ungefähr so attraktiv vor wie Recycling-Toilettenpapier. Aber ich sagte höflich, dass ich sie mir bei Gelegenheit gerne mal anschauen würde.
    In meiner Manteltasche furzte es laut und vernehmlich.
    »Entschuldigung«, sagte ich zu Herrn Wu, während ich das Handy herausnahm, und den Furz abstellte. »Meine Tochter blamiert mich immer! Sie hat Ihre Khaki wirklich nicht verdient.«
    Am anderen Ende der Leitung war Anton. Sein Tonfall klang hektisch. Er hatte noch nicht angefangen zu reden, da wusste ich, dass dies der Anruf war, vor dem ich mich schon seit Wochen heimlich fürchtete.
    »Ich habe ein Riesenproblem«, sagte er. »Ich hänge hier in Düsseldorf am Gericht fest, Luisa ist krank, und ich kann meine Mutter nicht erreichen.« Luisa war die Studentin, die Emily immer dienstags und donnerstags nach der Schule betreute. »Könntest du bitte ausnahmsweise Emily an der Schule abholen und mit zu dir nehmen, bis ich komme?«
    Oh, mein Gott.
    »Ja«, sagte ich. »Natürlich.«
    Anton erklärte mir den Weg zu Emilys Klassenzimmer. »Ich versuche, spätestens um sechs da zu sein«, sagte er. »Danke, Constanze, du bist ein Engel, und ich liebe dich.«
    »Ich muss los«, sagte ich zu Herrn Wu. »Aber über die Gummistiefel reden wir noch.«
    Um pünktlich an Emilys Schule sein zu können, holte ich Julius ein paar Minuten früher vom Kindergarten ab als üblich und ließ ihn sich auch nicht von jedem Kind, jeder Erzieherin und jedem Bauklotz einzeln verabschieden, wie sonst immer.
    »Heute müssen wir uns ein bisschen hetzen«, sagte ich. »Denn wir müssen heute Emily von der Schule abholen.«
    »Fährst du wieder mit Karacho durch die Pfützen?«, fragte Julius.
    »Ja«, sagte ich. Aber zu Julius' Kummer waren alle Pfützen ausgetrocknet. Jetzt im Herbst hatten wir Wetterverhältnisse, von denen wir im Sommer nur hatten träumen können.
    Zu Emilys Schule war es nicht weit, eigentlich hätte Emily sowohl zu Antons als auch zu meinem Haus gut zu Fuß gehen können. Es musste

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