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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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hatte ich das Gefühl, Sarah reden zu hören. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Wir setzten uns in die Nähe der Heizung, an den Wänden hingen Ölschinken in Blautönen, man brauchte nur den Kopf zu drehen, um festzustellen, dass das echte Meer schöner war. Die Bedienung brachte uns einen dünnen Kaffee, an der Art, wie sie ihn auf den Tisch stellte, konnte man sehen, dass sie lieber woanders gewesen wäre. Spitz wies sie mich darauf hin, dass die Jacke meiner Tochter auf dem Boden liege. Justine brach in Gelächter aus, mit ihren glänzenden Augen, den schmalen, ihre winzigen Zähne entblößenden Lippen wirkte sie einen Moment lang noch jünger. Wir tranken unseren Kaffee und schauten aus dem Fenster. Draußen mischten sich die Farbtöne von Austern und Kohle, Grünspan und Gischt. Auf den Wellenbrechern hockten Möwen und schrien grundlos, Jogger in fluoreszierenden Anzügen rannten über den Deich, das Meer zog sich zurück, ohne sich zu ergeben. Ich beugte mich vor, in der Ferne war die Altstadt in Nieselregen und Dunstschleier gehüllt.
    »Hallo, was machst du denn hier?«
    Ich fuhr zusammen. Der Typ war rotgesichtig und fett und küsste Justine auf die rechte Wange. Er musste um die hundertzwanzig Kilo wiegen, in seinem Nacken lockten sich schweißnasse zu lange Haare.
    »Du siehst doch, ich trinke einen Kaffee. Und du?«
    »Was wohl? Auslieferung, wie immer …«
    Er musterte mich, ein komisches Lächeln im Mundwinkel. Hinter ihm sah ich seinen Lastwagen, der vor dem Hotel stand, ein dickes Logo, France Boisson, verlief quer über die gelbliche Flanke. Durch die halboffene Hecktür waren Bierfässer und rote Kisten voll Cola zu sehen.
    »Das ist Paul, mein Fahrlehrer …«
    »Wenn ihr ihnen das Fahren so beibringt, verstehe ich, warum wir dieses Chaos auf der Straße haben.«
    Ich lächelte, und er gab mir seine weiche, fleischige Hand.
    »Wir machen grade eine Pause«, sagte ich.
    »Glückspilze. Na, dann geh ich mal. Ich muss schuften … Grüß Johnny von mir … Du bist wirklich ein verdammtes Weibsstück geworden.«
    Mit diesen Worten verabschiedete er sich und stapfte davon, dicker Bauch, breiter Rumpf, kurze Beine. Justine schaute ihm nach, und etwas an ihr verdüsterte sich, als wäre das Licht plötzlich von ihrem Gesicht gewichen.
    »Wer war das?«, fragte ich.
    »Ein Freund meines Vaters … Sie haben zusammen gearbeitet, sie sind für dieselbe Firma gefahren. Er hat sich um uns gekümmert, als Papa gestorben ist. Bis meine Mutter Johnny kennengelernt hat …«
    »Johnny?«
    »Mein Stiefvater. Er heißt Bertrand, aber alle nennen ihn Johnny … Können wir über was anderes reden?«
    Ihre Stimme zitterte, als sie das sagte, und ihre Augen erloschen, zwei matte, gehärtete Tonkugeln. Ich fühlte mich völlig bescheuert. Was fiel mir ein, solche Fragen zu stellen, ich kannte sie kaum, und jetzt saß sie da und starrte mit leerem Blick aufs Meer, kaute an ihren Nägeln und verschluckte die abgebissenen Stücke. Besser, wir machten was anderes, ich trank meinen Kaffee aus und winkte der Kellnerin.
    »Fahren wir zurück?«
    Sie antwortete nicht, aber ich stand trotzdem auf. Ich hielt ihr die Jacke hin, und sie erhob sich schließlich auch. Sie war bleich und wirkte verloren, hielt sich am Stuhl fest, als könnten ihre Beine sie nicht tragen.
    »Geht’s?«
    »Klar. Mir ist nur ein bisschen schwindlig. Das passiert mir andauernd. Können Sie mir ein Stück Zucker geben?«
    Ich holte einen Würfel vom Nebentisch, als ich ihn ihr reichte, war es zu spät, sie lag schon zu meinen Füßen, sie war vollkommen geräuschlos zusammengesackt, schlaff und weich wie ein Lappen. Ein Murmeln ging durch den Raum, doch niemand rührte sich. Ich kniete mich neben sie, sie blickte verwirrt aus weit aufgerissenen Augen und atmete tief. Ich steckte ihr den Zuckerwürfel in den Mund, sie kaute ihn langsam, als wäre es ein Stück Fleisch. Eine Weile blieben wir so, bis sie wieder zu sich kam, es schien mir Stunden zu dauern. Ich half ihr auf die Beine, so gut es ging, stützte sie nach Kräften, aber sie drohte wieder umzusinken, wenn das so weiterging, würde sie dahinschmelzen und auf dem Fußboden zerfließen. Alle schauten auf uns, in den Ecken wurde getuschelt, manche taten, als wäre nichts, und bekrümelten sich weiter mit ihren Croissants, aber es war offensichtlich, dass wir störten. Die Kellnerin kam schließlich und fragte mich, ob sie etwas tun könne.
    »Sie muss sich ausruhen, glaube

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