Gegenwinde
duschen. Dann war mein Vater an der Reihe, er zerzauste mir die Haare zur Begrüßung, und um acht Uhr aßen wir, nachdem er seinen Aperitif getrunken und die Zeitung überflogen hatte. Der Abend verlief ohne Reibungen, beim Essen tauschte man banale Neuigkeiten aus, überlegte, wie ohnehin schon minimale Kosten noch verringert werden könnten, plante Käufe, die das Ergebnis der vorangegangenen Diskussion null und nichtig machten, berichtete von den Noten, die man bekommen hatte, klärte die Termine kommender Essensverabredungen, verhandelte über das Taschengeld und den außerplanmäßigen Kauf eines Markenkleidungsstücks, einer Schallplatte, einer Kinokarte oder neuer Schuhe, wenn die anderen noch nicht ganz zerschlissen waren. Dann gingen wir ins Wohnzimmer, und Mama schlief während des Films ein, dem ich nur mit einem Auge folgte. Alex sagte, er werde ausgehen, und mein Vater meckerte der Form halber. Ein paar Jahre später verließ ich meinerseits das Samtsofa, um mich zu meinen Kumpels zu gesellen, sie versammelten sich auf ihren Mofas, Bierflasche und Kippe im Mund, hoch über dem Strand auf der Promenade, die von neuen Laternen gesäumt wurde, eine lange Reihe orangefarbener Kugeln in der regnerischen Nacht.
Justine stieg ins Auto, ohne ein Wort zu sagen, und der Wind fuhr ins Wageninnere, seit Mitternacht hatte er nicht aufgehört zu blasen, nachdem er Wolken und Regen landwärts getrieben hatte, schliff er das Licht, die braune Erde, die alten Steine. Sie startete, ohne dass ich sie dazu aufgefordert hatte, und der Motor starb hustend ab.
»Du hast sowieso vergessen, deinen Sitz einzustellen.«
Sie seufzte entnervt und fügte sich widerwillig.
»Und deine Rückspiegel auch. Und dich anzuschnallen.«
Sie kniff Augen und Mund zu einer Grimasse zusammen, die drohend sein sollte, und ihre übertrieben eifrigen Gesten waren nichts anderes als eine Verarschung. Das gefiel mir, ich hatte nie etwas übrig gehabt für Lauheit, Unterwürfigkeit, falsche Höflichkeit, und Sarah auch nicht, man durfte sie nicht nerven, sie konnte im Nu ihre Krallen ausfahren.
»Ist der Herr nun zufrieden«, fragte sie gespielt einfältig.
Ich nickte, lächelte konziliant, und wir fuhren in Richtung Meer. Dort rasten die Wolken, energie- und spannungsgeladen, die Wellen sahen von weitem kompakt aus, ihr Kamm hätte Gliedmaßen abtrennen können wie ein frisch geschärftes Messer. Der Motor machte einen schrecklichen Radau, Justine blieb im zweiten Gang, sie ließ die Maschine auf Hochtouren drehen und schien nichts dabei zu finden.
»Schaltest du nie in den Dritten?«
»Nein. Nie. Warum? Stört Sie das?«
Unwillkürlich musste ich lachen. Ich sagte, sie solle links abbiegen, und betrachtete einen Augenblick ihr Profil. Sie war überwältigend schön, es genügte, sie anzusehen, und man bekam weiche Knie.
»Wollen Sie ein Foto von mir?«, fragte sie trocken.
»Nein, es geht schon«, erwiderte ich und wandte den Blick ab.
Wir fuhren ein Weilchen, ohne ein Wort zu wechseln, die Stadt ging in Wiesen über, wir durchquerten menschenleere Weiler, Häuser mit ihren dicken Mauern schienen irrtümlich dorthin gebaut worden zu sein, zwischen die Felder. Justine langweilte sich schrecklich inmitten der Pferde und Traktoren, auf den schmalen, holprigen, kurvenreichen Landstraßen. Schließlich schlug sie vor, wieder in die Zivilisation zurückzukehren und irgendwo anzuhalten, sie brauchte einen Kaffee. Ich hatte nichts dagegen, wir machten uns davon, und fünf Minuten später führten uns enge Sträßchen zwischen prächtigen Villen hindurch zum Deich.
Das Meer brandete winterlich aufgewühlt und metallisch glitzernd, ein besonders schwerer Brecher durchnässte uns von oben bis unten. Justine schrie auf, ihr Haar triefte und ihr Mantel und der Saum ihres Kleides wurden dunkel von Feuchtigkeit. Das Hotel war zwei Schritte entfernt, ein großes bürgerliches Haus mit vielen Terrassen, Balkonen und Erkern. Die Bar ging auf den Strand hinaus, Touristen saßen beim Frühstück, den Blick auf die salzwasserbespritzten Panoramafenster gerichtet, man fragte sich, was sie in dieser Jahreszeit hier suchten.
»Die Thermen«, sagte Justine. »Sie verbringen eine Wahnsinnszeit damit, im warmen Wasser zu liegen, sich massieren und in Algen packen zu lassen … Sie bezahlen ein Vermögen, um sich von jungen Mindestlohnempfängerinnen verhätscheln zu lassen, und beklagen sich, das ›Personal‹ sei nicht nett und freundlich genug …«
Diesmal
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