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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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meinen Knien, und meine Knöchel waren eingerostet. Clément stand bereit und wartete, dass ich schoss.
    »Was machst du denn noch?« fragte er ungeduldig.
    »Ich warte.«
    »Worauf wartest du?«
    »Ich warte darauf, dass du es mir sagst.«
    »Dass ich dir was sage?«
    Er kniff die Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander, mit schräg gehaltenem Kopf glich er Sarah, wenn ich ihr Gesicht vergaß, brauchte ich nur ihn anzuschauen, um es deutlich vor mir zu haben.
    »Warum hast du diesem Jungen ins Ohr gebissen? Was ist passiert?«
    »Ach, das …«
    »Nun ja.«
    »Ich hab’s nicht absichtlich getan. Wir haben uns gehauen, er war stärker als ich, er hat mich auf den Boden gedrückt, da hab ich gebissen, das ist alles.«
    »Und warum habt ihr euch gehauen?«
    »Das will ich dir nicht sagen.«
    »Das willst du mir nicht sagen? Hat es etwas mit deiner Schwester zu tun?«
    »Nein.«
    »Mit deiner Mutter?«
    Er antwortete nicht und nahm wieder seine Position ein, ich hatte die Sonne in den Augen und das Meer im Rücken, ich nahm drei Schritte Anlauf und schoss auf seine Linke. Die Schnelligkeit, mit der er sich auf den Ball warf, machte mich sprachlos, dieser Junge funktionierte wie ein Gummi oder eine Feder, er berührte den Ball nur mit den Fingerspitzen und lenkte ihn am Tor vorbei. Ich applaudierte. Er beeindruckte mich wirklich. Ich war in seinem Alter so unbeholfen. Eine Wolke zog über unsere Köpfe, die Vögel schienen ihr folgen zu wollen, ein großer heller Hund rannte ihnen bellend nach, jeder lief hinter jedem her, und keiner erreichte den andern. Clément brachte sich erneut in Stellung, ich wollte zum zweiten Mal schießen, als Manons Stimme zu hören war.
    »Wir machen nachher weiter«, sagte ich.
    Die Kleine war aufgewacht, es war immer dieselbe Geschichte nach dem Mittagsschlaf, sie brauchte eine gute Viertelstunde, um zu sich zu kommen. Ich nahm sie in den Arm, und sie schmiegte sich an mich wie eine Katze. Die Helligkeit störte sie. Clément kam und kraulte ihr den Kopf.
    »Weißt du, es wäre gut, wenn du dich bei dem Jungen entschuldigst. Und bei seinen Eltern. Sie scheinen mir ziemlich nervig zu sein. Ich glaube, das würde uns einigen Ärger ersparen.«
    Er stimmte zu, während weniger als einen Meter von uns entfernt eine Möwe landete. Mit scheelem Blick und halbgeöffnetem Schnabel äugte sie auf unsere kleine Vorratstüte, etwas Brot, Mandarinen und zwei, drei Kekse.
    »Machst du das?«
    Clément nickte, und der kleine Mistvogel machte sich über die Tüte her. Wir klatschten in die Hände, trampelten mit den Füßen, nichts half, er suchte sich gemächlich seine Beute aus, einen Schokokeks, den er sich in den Schnabel klemmte, bevor er davonflog, als wäre nichts, und sich hundert Meter weiter wieder niederließ, um seinen Leckerbissen in Ruhe zu verschlingen. Man brauchte sich nicht zu wundern, dass sie so feist wurden, diese Biester. Manche waren am Schluss fett wie Hennen. Manon kriegte sich gar nicht wieder ein, im ersten Moment hatte ich Angst, sie finge an zu röcheln, aber sie lachte laut heraus. Dann verordnete sie mir eine Runde Sumo.
    »Willst du nicht zuerst was essen?«
    »Nein, erst Sumo.«
    Seit sie das im Fernsehen gesehen hatte, war es ein richtiges Ritual geworden, unmöglich sich dem zu entziehen. Mit der Fußspitze zog ich einen Kreis, und dann verjagten wir die Geister, dazu musste man die Beine sehr hoch heben und schwer auf den Boden fallen lassen, mangels Salz warfen wir Sand, um den Dohyo zu reinigen, dann gingen wir mit ausgestreckten Armen in die Hocke. Ich stützte mich mit den Fäusten auf dem Boden ab, und da fielen sie brüllend über mich her, die Kleine packte meine Beine, der Große rammte mir seinen Kopf in den Bauch, für einen Jungen, der das Boxen verachtete, langte er kräftig zu. Kurze Zeit hielt ich stand, stieß fürchterliche Schreie aus und tat so, als würde ich sie von mir schleudern, aber es endete immer gleich: Manon kreischte vor Lachen oder Angst, das wusste man nie so genau, und ich ließ mich mit den beiden in den Sand fallen, wir kitzelten uns, außer Atem, die Augen gen Himmel gerichtet, erfüllt von Licht, erlöst vom Wind. Wir blieben am Strand, bis die Sonne sank, das Meer ging rasend schnell zurück, ich forderte die Kinder auf, ihre Schuhe auszuziehen und die Hosen hochzukrempeln. Wir liefen in den Rinnsalen, das eiskalte Wasser bahnte sich Wege durch den groben Sand und die zerbrochenen Muscheln, manchmal sank man ein und

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