Gegenwinde
Augenblick lang ging Sarah durchs Haus, aber dies eine Mal hat uns das nicht abgehalten, dies eine Mal war ihre Anwesenheit fast harmlos, fast fröhlich, sie hatte zu diesen Chansons getanzt, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war, und sie waren ihre, waren für immer mit ihr verbunden. Ich hätte nur die Augen schließen müssen, um sie zu sehen, wie sie sich leicht, mit bloßen Füßen, im Wohnzimmer oder draußen im Gras um sich selbst drehte, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. Wir jaulten » Je vends des robes «, als ich das Auto parkte. Die Kinder waren hungrig. Sie teilten sich eine riesengroße Pizza mit viel Käse drauf. Ich rührte meine kaum an, aber zwei Karaffen Rotwein gingen weg, in meinem Kopf überstürzten sich die Gedanken, die großen Vögel die Gezeiten Sarahs Verschwinden und Ninos letzte Tage, eine Kugel ins Herz mitten im Weizenfeld, dieses Bild hatte mich verfolgt, ich hatte den Kerl immer gern gemocht, sein Quercy seine Gitarren sein Haus die Kinder die Musik und die Hunde, lange Zeit hatte ich mit dem Gedanken gespielt, ihm ein Buch zu widmen, aber das war jetzt alles so weit weg, die Romane die Tage und Nächte am Computer, die Leser die Buchhändler die Fahnen die Korrektoren die Verleger, nichts davon schien einmal mein Leben ausgemacht zu haben. Durch die Panoramafenster sah man das Wasser steigen, goldene Sandbänke entstanden und vergingen, Boote, von der Flut belebt, schaukelten plötzlich wieder, die Möwen verließen ihre Rastplätze, und Clément folgte ihnen mit dem Blick, sie glitten mit ausgebreiteten Schwingen durch die Luft, ließen sich von der Geschwindigkeit berauschen und streiften die Fluten, bevor sie sich mit drei Flügelschlägen wieder erhoben. Rings um die Sandbucht standen große Anwesen mit geschlossenen Läden, sie würden sich erst im Sommer wieder öffnen und ganze Sippen beherbergen. Die Kinder aßen ihr Eis auf, und wir gingen zum Strand hinunter. Ohne die rot-weißen Kabinen, ohne den Kiosk mit seinem Waffel-, Pommes- und Paninigeruch, ohne den Micki-Club mit seiner Umzäunung aus hellem Holz, seinen Rutschen und Trampolinen wirkte er nackt, aber das stand ihm gut. Wir würden den Sommer abwarten, um das alles wiederzufinden und abends in der Dämmerung auf den Liegestühlen Würstchen zu essen, während frisch gekämmte Kinder im Schlafanzug aus den Villen kämen, um Tüten bunter Bonbons zu verschlingen, Klimmzüge zu üben, das Holzgerüst, von dem für die Nacht die Schaukeln abmontiert und weggeräumt worden waren, mit Elfmeterschüssen zu traktieren oder in der Ecke für die ganz Kleinen zusammenzuhocken und zu plaudern. Wir ließen uns hinter einer Linie trockener Algen nieder, der Sand war beinahe warm, wenn man sich darauf ausstreckte, die Finger hineingrub, fühlte man sich in frühere, glückliche Sommer versetzt, wir schliefen alle drei ein, vom Plätschern der Wellen gewiegt. Ich träumte von Sarah. Das war mir seit Monaten nicht mehr passiert. Oder ich hatte es nicht gemerkt. Normalerweise war mein Schlaf unruhig und schwarz, oder ich schlief nicht, verbrachte die Nacht damit, auf die Geräusche des Hauses und die Bewegungen draußen zu lauern. Es war weniger ein Traum als eine Folge stehender Bilder, aufeinanderstoßender Erinnerungen. Unscharfe und überbelichtete Fotos, auf denen vom Gegenlicht verdunkelte Schatten und Gesichter vorüberzogen. Alles zog vorüber, und ich rührte mich nicht, Sarah nahm den ganzen Raum ein, füllte den Bildschirm, und die meiste Zeit bewegte sich ihr Mund stumm, so sehr ich die Ohren spitzte, ich hörte nichts oder nur ein Knistern. Sie kam todmüde von der Arbeit, zog ihre Schuhe aus und ließ sich ein Bad einlaufen, auf dem Badewannenrand sitzend berührte sie das langsam steigende Wasser. Die Kinder stürzten sich auf sie, rissen sie aus ihrer Träumerei. Ich weiß nicht, woher sie die Kraft nahm, aus welchen ungeahnten Reserven, aber für die Kinder hatte sie immer noch genug, sie lief ihnen mit Menschenfressergeschrei hinterher, hielt sie auf einem Bett fest und kitzelte sie durch, bis sie um Gnade flehten. Anschließend kehrte sie ins Badezimmer zurück und verschwand unter dem Schaum. Dann wieder saß sie lesend im Garten, in einem leichten Kleid, die Füße auf dem Tisch und der Stuhl so schräg, dass sie jeden Augenblick ins Gras zu kippen drohte, kaute auf einem Grashalm und trank, ohne den Blick vom Buch zu heben, einen Schluck Bier aus der Flasche, ich schlich mich heran und biss sie in
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