Gegenwinde
war es zu spät«, fügte er murmelnd hinzu.
Er hob den Kopf, seine Augen glänzten sonderbar, sie waren immer etwas glasig, aber jetzt war es schlimmer, man hätte meinen können, sie seien mit einem Gel überzogen oder er trage durchsichtige, wassergefüllte Linsen.
»Ich konnte nichts machen. Er kam in mein Büro, hat sich gesetzt, er sah wirklich fix und fertig aus, wie ein geschlagener Hund, sogar mir hat es das Herz zerrissen. Und dann ist dieser Idiot plötzlich aufgestanden, ans Fenster gestürzt und gesprungen, drei Stockwerke tiefer war er tot. Ich weiß nicht, wie er das angestellt hat, aus dieser Höhe hätte er es auch überleben können. Es war grauenhaft. Und danach, keine Stunde später, ruft mich diese Idiotin an, um mir zu sagen, dass sie ihre Klage zurückzieht, dass sie nicht will, dass er wieder in den Knast kommt, und dass sie das Sorgerecht für den Kleinen durch Anwälte regeln lassen will wie unter zivilisierten Menschen …«
Combe sah mich nicht mehr an. Seine Blicke schweiften nach draußen, doch da war nicht mehr viel zu sehen, der Garten war so gut wie kahl, bis auf den Oleander und die Kamelie. Der Birnbaum stand gebeugt im fahlen Licht. Ein leichter Wind ließ die Holztäfelchen klingen, die in seinen Ästen hingen, Tristan hatte sie mir aus Japan geschickt, die meisten stellten Tiere dar, auf meiner Lieblingstafel bahnten sich zwei Frauen im Kimono einen Weg durch den Bambus, auf der Rückseite konnte man seine Wünsche und Hoffnungen notieren, später würde man sie nach schintoistischem Ritus verbrennen, es gab sie für alle Gelegenheiten, Liebe Glück Geld Gesundheit. Aber nicht für die Rückkehr der Verschollenen. Ich entschuldigte mich. Oben schliefen die Kinder wie Murmeltiere, Clément hatte seine Taschenlampe angelassen, der dritte Band von Der kleine Vampir lag aufgeschlagen auf seinem Bauch, und das Radio lief leise. Ich zog ihm die Decke bis unters Kinn, küsste ihn auf die Stirn und ging aus dem Zimmer. Manon schnarchte, einen Augenblick hatte ich Angst, ihre Lungen pfeifen zu hören, aber es war nichts, nur ein kleiner Husten, der eine Bronchitis werden könnte. Ich ging wieder hinunter, Combe war aufgestanden, er inspizierte das Bücherregal. Es schien ihm etwas besser zu gehen, er hatte sich erleichtert.
»Nicht viele Franzosen dabei«, meinte er und kratzte sich am Kinn.
Ich zuckte mit den Schultern. Es stimmte, die Amerikaner und die Japaner dominierten, doch das war zum Teil Zufall. Ich war zwar ein großer Leser, aber kein Bibliophiler. Ich trennte mich von den Büchern, sobald ich sie gelesen hatte, abgesehen von Lyrik und ein paar anderen Ausnahmen, gab sie weiter an Nachbarn Bibliotheken Vereine. Eigentlich liebte ich nicht die Bücher, sondern die Literatur.
»Sagen Sie mal, irgendwo habe ich gesehen, dass Sie Bücher geschrieben haben«, fuhr er fort.
»Ja. Na ja, jetzt hab ich schon lang nichts mehr gemacht …«
Ich hatte das unbestimmte Gefühl, in flagranti ertappt worden zu sein. Einen kurzen Moment lang erhellte ein vages Lächeln sein Gesicht. Dies, stellte ich mir vor, war eine der wenigen Freuden, die der Job des Inspektors bereithielt. Immer mehr über einen zu wissen, als man glaubte. Immer ein Stück voraus zu sein.
»Deswegen also.«
»Deswegen was?«
»Deswegen arbeiten Sie zurzeit in der Fahrschule.«
»Ja. Ich bin knapp bei Kasse, da verdiene ich mir ein Zubrot.«
Mit einer Hand griff er nach einem Band auf dem obersten Brett und blätterte darin. Gedichte von Carver. Er las zwei oder drei. Sie schienen ihm nicht zu gefallen.
»Wissen Sie, dass ich Ihre Eltern gut gekannt habe?«
»Nein, das wusste ich nicht.«
»Doch, doch. Einer meiner Neffen hat sogar bei Ihrem Vater Fahren gelernt …«
Er stellte den Band zurück und ließ sich schwer in den Sessel fallen. Ich dachte, das Holz würde unter seinem Gewicht nachgeben. Ich setzte mich auch wieder, im Raum hörte man nichts außer seinem geräuschvollen Atem. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei, aber das Motorgebrumm konnte ihn kaum übertönen.
»Sagen Sie, ich nehme an, Sie besitzen die Fahrlehrererlaubnis …«
»Natürlich«, erwiderte ich mit so neutraler Stimme wie möglich.
Mein Herz raste plötzlich, bei einem Lügendetektor hätte ich nicht die mindeste Chance gehabt. In solchen Situationen ließ ich mir normalerweise nichts anmerken, aber innerlich ging es drunter und drüber, mir war heiß, und ich kriegte keine Luft, mein Bauch krampfte sich zusammen, mein Blutdruck
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