Gegenwinde
gegenüber genehmigte sich schon den dritten, er hatte seine Schuhe ausgezogen, zwei Zehen schauten aus den Socken. Sein tabakverfärbter Schnurrbart hing leicht in die goldene Flüssigkeit.
»Wie geht’s Ihren Kindern? Kommen sie zurecht ohne ihre Mutter?«
Dieser Typ las meine Gedanken, seine Stimme war heiser, wie von einer Rührung überwältigt, deren Ursache mir unbekannt war. Seine leicht glänzenden Augen fixierten mich mit einem unerklärlichen Ausdruck, zugleich fern und mitleidig, doch ich hatte nicht die Absicht, mich über das Thema auszulassen. Ich sagte, es ginge, man lebte damit. Vor dem Fenster schwankten die kahlen Zweige des Kirschbaums, die Hauswand reflektierte das Mondlicht, das den ganzen Garten beleuchtete, der Eisentisch schimmerte, die Nacht hatte seine Farbe geschluckt. Die Sterne konnte ich von meinem Sessel aus nicht sehen, aber sicher sprenkelten sie tausendfach den schwarzen Himmel.
»Das Schlimmste ist, dass man nichts weiß, nicht wahr?« seufzte er.
In den Wänden knackte etwas, es klang wie splitterndes Holz. Ich weiß nicht, ob es die Stille ringsum war, aber dieses Haus kam mir lebendiger vor als das vorige. Das Wasser floss durch die Rohre wie Blut durch die Adern, und bei jedem Windstoß knirschten die Gelenke.
»Nein«, widersprach ich. »Das Schlimmste ist, dass sie nicht mehr da ist, für die Kinder wie für mich.«
»Das sagen Sie, aber Sie halten nur deshalb durch, weil etwas in Ihnen steif und fest wie meine Eier an ihre Rückkehr glaubt.«
Combe redete wie ein Bauer, das hatte ich schon bemerkt, aber er tat es auf eine sehr eigene Art, ohne je ein Wort zu betonen, in einem gleichmäßigen und weichen Ton, so dass alles ganz ruhig herauskam und nichts Pittoreskes oder Schrilles hatte.
»Was wissen Sie schon darüber?«
»Ich weiß es, das ist alles.«
Er leerte sein Glas. Das Gespräch schien ihm die letzten Kräfte geraubt zu haben. Abgespannt, mit geröteten, kleinen Augen, zögerte er, sich einen vierten Whisky zu genehmigen.
»Ich hatte einen schwierigen Tag«, erklärte er, wie um sich zu rechtfertigen.
Ich ermunterte ihn, sich einzuschenken, und tat es ihm nach. Ich hatte seit vierundzwanzig Stunden praktisch nichts zu mir genommen und spürte, wie mir der Alkohol den Magen zerfraß. Dann wurde mir ernsthaft schwindlig, ich stand auf und öffnete den Kühlschrank.
»Also, was führt Sie her?«
Es war fast nichts mehr drin, für die Kinder hatte ich schon die letzten Reste aus der Tiefkühltruhe zusammenkratzen müssen, Fischstäbchen Kroketten, das war gerade noch durchgegangen, aber Manon hatte sich beschwert, dass es kein Ketchup und keine Zitrone mehr gab. Ich fand doch noch ein Stück Käse, es bestand hauptsächlich aus Rinde, aber gut, es kam ja vor allem darauf an, das Loch zu stopfen. Ich nahm ein Stück Brot und kehrte zurück ins Wohnzimmer, Combe war in Gedanken versunken.
»Geht es um das Mädchen? Justine?«, rätselte ich.
»Nein. Leider nein. Die Ermittlungen haben bisher nichts ergeben. Ich kann nichts damit anfangen. Sie hat in der südlichen Banlieue, in Juvisy, die Scheckkarte benutzt, und seither nichts mehr. Was hat sie in Juvisy zu suchen gehabt, frage ich Sie …? Was für eine beschissene Gegend. Das war doch Ihre Gegend, oder?«
Ich nickte. Ich gab lieber keine Antwort. Es hatte keinen Zweck, über die Banlieue und all diese Außenbezirke mit Leuten zu reden, die nie dort gelebt hatten, sie begriffen rein gar nichts. Über das Alter war ich hinaus, in dem ich mich über solche oder überhaupt irgendwelche Dinge ereifert hatte. Als ich jünger war, tat ich es, und es brachte nichts, außer dass ich mich mit fast allen Bekannten gezofft hatte. Von mir aus konnten die Leute denken, was sie wollten, es juckte mich nicht mehr.
»Nein, es geht um Ihren Freund da. Den Vater des kleinen Thomas. Ich weiß, dass Sie das Kind zu seiner Mutter gebracht haben. Und Sie wissen, dass ich Sie hätte einbuchten können, wenn sie ihre Anzeige nicht zurückgezogen hätte.«
»Sie hat ihre Anzeige zurückgezogen?«
»Ja. Sogar ich war erstaunt. Obwohl, die Frauen …«
Ich zuckte mit den Schultern. Er hatte wahrhaftig ein Talent, mich mit seinen Kommentaren zu nerven, derartige Verallgemeinerungen hatten mich schon immer geärgert, bei Sarah war es noch schlimmer, sie wollte keine Zeitung mehr aufschlagen, kein Radio mehr hören, und wenn ich ihr morgens etwas von den Nachrichten erzählte, bat sie mich still zu sein.
»Und in jedem Fall
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