Gegenwinde
erstarrte von den Zehen bis zu den Haarspitzen. Die ersten Wellen bissen kräftig zu. Ich bückte mich, um mit den Händen etwas Wasser zu schöpfen und mein Gesicht hineinzutauchen. Die Kinder machten es mir nach, Manon war schließlich pitschnass. Wie waren stolz wie Spanier, wir fürchteten nichts und niemanden und schon gar nicht die Kälte und den Winter, wir waren Indianer, wir führten den Tanz der Sioux auf. Ein Typ in Badehose und mit roter Haut kam in unser Blickfeld. Auf seinem Schädel die Reste eines roten Schopfs. Ein Engländer, ein Ire oder so etwas, dachte ich und sah zu, wie er ohne das geringste Zögern vorwärts ging. Die Augen auf den Horizont gerichtet, benetzte er sich den Nacken, die Brust und den Rücken. Dann tauchte er mit einer geschmeidigen, flüssigen Bewegung ein. Ein richtiger Delfin. Eine Weile verloren wir ihn aus den Augen. Wir suchten das ruhige, glatte Wasser ab. Schließlich tauchte er wieder auf, gut fünfzig Meter weiter draußen. Er schwamm mit präzisen, kräftigen, regelmäßigen Bewegungen, man hätte glauben können, er trainierte in einem auf 22 °C erwärmten Becken. Wir standen ganz schön dumm da. Der Form halber bespritzten wir uns ein letztes Mal und kehrten dann auf den trockenen Sand zurück. Der Himmel über den Villen war rot, die Sonne verbarg sich hinter der Felskuppe, und der Schatten hatte den ganzen Strand erobert. Nur der Ire bekam noch Strahlen ab, er hatte die Boote hinter sich gelassen und schwamm im hellen Licht direkt auf die schwarzen Inseln zu. An dieser Stelle der Küste bildeten sie ein Miniarchipel. Irgendwo hatte ich gelesen, dass man da Austern sammeln konnte, die Kenner versäumten nie, ein Messer in die Badehose zu stecken. Auf einem Felsen mitten im Meer Austern zu essen, das hatte schon was.
Wir kehrten zum Auto zurück, ich drehte die Heizung auf, die Kleinen klapperten mit den Zähnen, aber sie waren glücklich. Die Schleusen waren geöffnet, das Wasser brodelte um die Turbinen, die Straße brach auf, und die beiden Hälften der Brücke stellten sich senkrecht. Wir warteten eine gute Viertelstunde und schauten den Schiffen zu, schnittige Segelboote glitten geräuschlos vorüber, ein Fischerkahn beschloss die Prozession, er knatterte freundlich, und an Bord waren die Netze prallvoll mit Jakobsmuscheln. Im Süden senkte sich die Nacht über die Rance, weichte die Linien der Landschaft auf und gab dem bloßgelegten Sand eine silbrige Schattierung. Auf der anderen Seite umschlossen die Landzungen die Mündung und versuchten, das Wasser zurückzuhalten, aber es war nichts zu machen, das Meer breitete sich bis zu den ersten Sternen aus. Wir fuhren über die Altstadt zurück, nach den Festungsmauern verlief die Straße hinter der dem Meer zugewandten Häuserreihe, manchmal gab es eine Lücke zwischen den engstehenden Villen, alle zwanzig Meter konnte man feststellen, dass es jetzt wirklich Nacht und der Ärmelkanal schwarz war.
»Papa, schau, da ist Nadine …«
Clément hatte das mit lebhafter Stimme gesagt, ich fuhr langsamer, aber ich glaube, als ich den Kopf drehte, wusste ich schon, was ich sehen würde.
»Warum hältst du nicht an?«, wunderte sich Manon.
»Weil es spät ist und ihr in die Badewanne müsst«, erwiderte ich. »Morgen ist Schule.«
Die Kleinen waren enttäuscht, aber was sollte ich ihnen sagen. Im Rückspiegel verabschiedeten sich vor dem Ibis-Hotel Nadine und ein Mann, der nicht ihr Onkel war.
Combe brauchte einen Whisky, er wirkte erschöpft, am Ende seiner Kraft. Ich zeigte ihm die Flasche und ließ ihn im Schrank suchen. Er holte zwei Gläser heraus und goss beide gleich voll.
»Prost.«
Oben schliefen die Kinder oder taten so, meistens machte ich nach dem Gutenachtkuss ihre Türen zu, und wenn ich horchte, konnte ich sie Buchseiten umblättern, mit Papier rascheln, herumgehen und murmeln hören. Sie spielten oder lasen wohl noch lange, aber das erklärte nur zum Teil, warum sie sich beim Aufstehen so schwertaten: kaum wach, gingen sie durch alle Zimmer, als wollten sie etwas überprüfen, jeden Morgen waren sie von neuem enttäuscht, mürrisch und ernüchtert, ich tat, als sähe ich nichts. Es hatte keinen Sinn, es führte zu nichts, ich konnte noch so sehr die Augen verschließen, früher oder später musste ich das Geschwür aufstechen. Ich setzte mein Glas an die Lippen, ein Geschmack nach Erde, Rauch und vom Regen aufgequollenem Holz strömte in meinen Mund, und ein Schauder überlief mich. Combe mir
Weitere Kostenlose Bücher