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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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die nackten Arme, den weißen Nacken und die Schultern, an denen sich ihre Vogelknöchelchen abzeichneten. Später schwamm sie, und ich schwamm neben ihr, Seeschwalben stießen in das silbrig glänzende Meer, die Sonne stand senkrecht und verbrannte uns die Augen. Am Strand bespritzten sich die Kinder. Sie drehte sich ab und zu um und winkte ihnen, dann schwamm sie energisch weiter ins Meer hinaus, sie strebte der Insel in der Ferne zu, hätte man meinen können, sie sträubte sich kehrtzumachen, liebte nur den Horizont, oft hängte sie sich an meinen Hals, wenn es zum Strand zurückging, und ich ertrank fast, während ich sie abschleppte. Noch später zieht Sarah an ihrem Joint, es ist Nacht und Sommer, Freunde und Nachbarn sind gegangen, auf dem Grill glüht noch die Asche, ein Geruch nach Gewürzen und gegrilltem Fleisch hängt in der Luft, die Kinder schlafen mit Schweißperlen auf der Stirn und fast nackt im Wohnzimmer auf dem bloßen Fußboden, wir warten, bis in den Wohnblocks die Lichter ausgehen, und im Dunkeln vögeln wir dann, von Gräsern gekitzelt, unter dem Gartentisch, im Schutz der Tamariske. Darauf folgte eine Szene, die genauer, lebhafter, deutlicher war als die anderen, als hätte man plötzlich das Licht angeschaltet, den Ton aufgedreht: Sarah ist erwacht und verlangt nach ihrem Baby, ihr Bauch ist aufgeschnitten und wieder zugenäht worden, sie sieht elend aus, einen Augenblick gerät sie in Panik und glaubt, alles ist aus, da beruhige ich sie, ich sage: Alles ist gut, ich sage es, aber was weiß ich schon, Manon ist in einem anderen Stockwerk sie ruht sich aus, sie hat nicht mehr geatmet man hat sie reanimieren müssen sie ruht sich aus, der Arzt hat so fest auf ihren Bauch und ihre Brust gepresst sie ruht sich aus, alles war in heller Aufregung damals, man weckte ihn, und er kam angerannt mit zerzaustem Haar verquollenen Augen er gähnte und Manon atmete nicht mehr, ich war hinter der Scheibe er drückte auf ihren winzigen Oberkörper seine Hände waren größer als sie und die Kleine kam wieder zu sich, sie kam ganz einfach, sie hustete spuckte kotzte, er bedeutete mir alles werde gut, ich durfte sie nicht sehen sie haben sie mitgenommen, und danach haben Sarah und ich sie wochenlang nur berühren dürfen, wir streckten unsere Hände in die Öffnungen des Brutkastens und streichelten ihre von Infusionsnadeln durchbohrten Händchen, ihre Wangen und ihren Körper, in den massenweise Antibiotika und Desinfektionsmittel gepumpt wurden, sie schlief die ganze Zeit und war erschreckend blass inmitten der anderen bläulichen oder rötlichen Babys, der Arzt sah besorgt aus er antwortete ausweichend und verworren wie jeder Arzt, aber ich konnte sehen, dass er sich Sorgen machte, und Sarah auch. Nach zwei Monaten haben sie sie uns schließlich übergeben, zum ersten Mal konnten wir sie richtig anfassen, ihren Kopf ihre Wangen ihre Schenkel ihren Bauch küssen, Sarah weinte vor Freude, und ich erinnere mich gedacht zu haben, dass dieses Entsetzen, sie zu verlieren, und das Wunder, sie behalten zu haben, unser ganzes Leben lang in uns und zwischen uns eingebrannt bleiben würde. Sarah, Jahre früher, sie streckt Clément die Arme entgegen, und er kommt auf sie zu, voller Vertrauen und ungeschickt, er kann sich kaum auf den Beinen halten, wankt bei jedem Schritt und fällt fast hin, dann hat er glücklich das ganze Wohnzimmer durchquert und lässt sich in die Arme seiner Mutter fallen. Sie lächelt mir heimlich zu, und ihr Vater mustert mich verächtlich und nervt mich mit seiner ewigen Leier: Na, immer noch in Ferien? Stört es Sie nicht, dass meine Tochter sich abstrampelt, während Sie über ihren Jugendbüchern träumen? Und warum schreiben Sie nicht mal was Erfolgreiches, anstatt uns mit ihrem deprimierenden Zeug zu belästigen? Haben Sie noch nie daran gedacht, eine richtige Arbeit anzunehmen? Sie sieht, dass ich koche, und beschwört mich, geduldig zu sein, ihr Vater hält es nie lang bei uns aus, alles deprimiert ihn, das Wetter die Mietskasernen und all die Araber und Schwarzen, und mehr noch als alles andere die Kinder, er hat es eilig heimzufahren. Rückblende: die Wohnung in Paris, das winzige Schlafzimmer mit den vergilbten Wänden, Sarah ist nicht viel älter als zwanzig, sie schläft noch, wenn ich morgens komme, in die Uni habe ich schon seit Ewigkeiten keinen Fuß mehr gesetzt, unter der Woche bediene ich in einer Bar, und an den Wochenenden mache ich den Nachtportier in einem Hotel, die

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