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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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und gar vertraut, die Straßen, die Wohnblocks und die Hochhäuser, die ihren Schatten auf den Garten warfen. Die neuen Besitzer hatten den Rasen gemäht, das Gestrüpp geschnitten, aber im Grunde hatte sich nichts verändert. Es war nur ein bisschen sauberer. Und trister. Ich traf zwei, drei Nachbarn, sie fragten sich, was ich hier suchte, und ich mich auch. Natürlich hatten wir uns nicht viel zu sagen. Die Kinder, das ging so, und die Schule, immer dasselbe, man musste sie antreiben, aber man fand sich damit ab, und ansonsten, wie ist es in der Bretagne, ist das Meer schön, regnet es nicht zu viel? Doch es tat mir gut, alles intakt vorzufinden, es war wie ein Beweis, es hatte sich wirklich etwas ereignet, ich hatte nicht geträumt. Das vorige Leben, das ruhige Leben, das gute, einfache, bescheidene Leben mit seinen kleinen Freuden, das Ermüdende der Arbeit der Kinder der vergehenden Zeit, aber das war auch schon alles, Puzzles legen auf dem Teppich, zusammen einen Zeichentrickfilm anschauen, Sarah in den Nacken küssen, sie duschen hören, ein Bier im Sommer Erdnüsse auf dem Liegestuhl bei den Hortensien, vögeln umschlungen schlafen lesen den Kopf auf ihrem Bauch, sie morgens gehen sehen und im stillen ruhigen Haus zurückbleiben. Die Zeitung lesen, etwas trinken, Zigaretten rauchen. Einen Blick auf den Himmel werfen. Vom Meer träumen. Im Frühjahr ein paar Tage hinfahren, im Sommer noch ein paar Tage, wie süß war das Leben in Salz und Sand. Und dann ab und zu, wenn netterweise Geld hereinkam, abhauen nach Prag, Barcelona, Lissabon oder Rom. Es war kurz vor Weihnachten, Sarah mit Clément an der Hand in den römischen Gässchen, Manon in ihrem Bauch, auf der Piazza Navona streichelte uns ein sanfter Wind, die Heliumballons hoben sich grell vom Himmel ab, der Kleine schoss mit der Seifenblasen-Pistole auf Passanten, es machte einen Höllenlärm, Lichter blinkten in der Nacht, an der Stirnseite von Santa Maria di Trastevere funkelte ein Christus.
    Paris war in schmutziges Licht getaucht. Erst bei Einbruch der Dunkelheit, wenn die Weihnachtsbeleuchtung anging, würde man etwas Wärme finden. Ich ging durch die Eingangshalle, überall salutierende Typen in Uniform, ich fragte sie nach dem Weg, es war ein verfluchtes Labyrinth von Fluren und Treppen.
    »Guten Tag, ich bin mit Monsieur Galland verabredet.«
    »Sie sind?«
    »Paul Anderen.«
    »Gut. Gedulden Sie sich einen Augenblick, er wird Sie gleich empfangen.«
    Schon an Combes Stimme hatte ich gehört, dass es um Sarah ging. Er hatte lange um den Brei herumgeredet, bevor er mir die Fakten darlegte. Man hatte den Mann geschnappt, der Justine überfallen hatte. Er hatte drei Morde gestanden, lauter Frauen, die Leichen hatte er vergraben. Man hatte sie ausgegraben, und eine von ihnen könnte die meiner Frau sein. Die Orte, die Daten, alles passte. Ich war aufgestanden und gegangen, ohne die Fortsetzung abzuwarten.
    »Wohin gehen Sie?«, hatte er gebrüllt und war mir durch die Flure nachgelaufen.
    Galland bat mich in sein Büro. Meine Schläfen pochten. Er war ein schmaler, knochiger Typ mit kurzgeschorenem Haar und kleiner rechteckiger Brille. Vor ihm stapelten sich Umschläge und Akten. Ich erkannte Sarahs Röntgenbilder, Gesamtaufnahmen der Zähne und diverse Brüche, in den Tagen nach ihrem Verschwinden hatte man gesagt, man würde sie für alle Fälle behalten, das hatte mich wahnsinnig gemacht, einerseits schienen alle drauf zu pfeifen, und andererseits rechnete man kühl damit, dass die Bilder noch nützlich werden könnten. Und jetzt war es so weit. Sie wurden nützlich. Ich dachte, ich falle in Ohnmacht oder löse mich an Ort und Stelle auf, verliere die Form wie dieser seltsame Sand, der trocken und fließend wird, sobald man ihn aus dem Wasser holt. Der Typ redete leise und monoton. In wenigen Worten fasste er den aktuellen Stand zusammen: Der Körper, den man gefunden hatte, wies dieselben Merkmale auf wie der Sarahs, Alter Größe Knochenbau Implantate Kronen Zahnabdrücke, konnte ich ihm folgen? Er stand auf und ging mir voraus in einen kahlen Raum. Auf einem großen Tisch lagen Sarahs Uhr, ihr orangefarbener Rock ihre grüne Bluse ihr beiger Regenmantel, alles fleckig, mit Erde beschmutzt und mit Zetteln versehen. Ich kotzte ihm vor die Füße, es schoss in einem weißlichen Strahl aus mir heraus, ich konnte es nicht zurückhalten, um mich drehte sich alles. Er nahm mich am Arm und führte mich in sein Büro. Sein Assistent setzte mich auf einen

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