Gegenwinde
Bündel, meine Finger wühlten sich in die Muschelscherben, und Sarah ging mir keinen Augenblick aus dem Sinn. Ihre Art, sich die Strähnen aus dem Gesicht zu blasen, einen Träger hochzustreifen, fast ganz im Badewasser zu verschwinden, so dass nur noch ihre Brüste hervorschauten. Ihre Stimme, wenn sie den Kindern Geschichten erzählte, ihre Telefonate, während sie Mittagsschlaf machten, die Eiswürfel, mit denen sie sich sommers im Garten die Stirn kühlte, die Bücher, die sie unter dem Kirschbaum verschlang, auf der alten Decke liegend, mit der Brille auf der Nase und einem Grashalm im Mund. Ihr immer eiliger Gang, wenn ich sie auf der Straße sah, ohne dass sie mich bemerkte, ihr stets besorgtes Gesicht, die gerunzelte Stirn und die Augen, die sie zusammenkniff, wenn sie an ihren Mentholzigaretten zog, und die ganz geschlossen waren, wenn ich mit ihr schlief und ihr Mund zu flehen und nach Luft zu ringen schien. Steif vor Kälte und benommen von Müdigkeit schlief ich ein.
Als ich erwachte, hatte sich das Meer zurückgezogen, der Morgen graute noch kaum, der Kajak war nur ein Schatten und trieb langsam in südlicher Richtung. Die Flut hatte ihn mitgenommen, er schaukelte leicht, in ein paar Stunden würde man ihn irgendwo am Strand wiederfinden. Ich versuchte aufzustehen. Meine Stirn war heiß, ich zitterte an allen Gliedern, im übrigen bestand ich nur noch aus Eis. Der heraufdämmernde Tag drehte sich um mich und ließ die Landschaft torkeln. Ich griff zu meinem Telefon und wählte den Notruf, dann hatte ich das Gefühl zu fallen, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen, nichts würde mich aufhalten. Danach wurde alles ganz irreal, das Schiff draußen auf dem Meer und die beiden Typen im Schlauchboot, die mich aufhoben und mitnahmen, die Rettungsdecke und die Fragen, die ich nur wie von fern hörte, und meine wattigen Antworten, die vom Brausen des Meeres übertönt wurden. Der Krankenwagen und die Flure der Klinik, das Aspirin und die Glukoselösung, die in meine Venen lief, die Berge von Wolle, unter denen ich begraben war, alle drei Minuten kam eine Krankenschwester, die ich im Halbschlaf nur unscharf sah, und maß meine Temperatur. Ich brauchte drei Stunden, um wieder zu mir zu kommen, ein Polizist bombardierte mich mit Fragen, und alle waren wütend, ob ich denn glaubte, sie hätten nichts Besseres zu tun an so einem Tag … Ich schaute auf die Uhr, es war beinahe Nacht, die Kinder würden auf mich warten und sich Sorgen machen. Ich stand auf, zog meine noch nassen Kleider an und ging quer durchs Krankenhaus, Zimmer 224 war das von Élise, ich trat ein, aber ihr Bett war leer und ringsum nicht die geringste Spur von irgendwem. Ich traf eine Krankenschwester, ich fragte sie, ob Élise nach Hause gegangen sei, sie verzog betrübt den Mund, und ich begriff: Élise war gestorben. Ich marschierte bis zum Auto und raste in die Altstadt. Bei Jules kaufte ich mir neue Klamotten und behielt sie gleich an. Die Verkäufer schauten entgeistert. Ich bat sie um eine Tüte für meine triefenden Sachen, im Spiegel war ich leichenblass, ich hatte Schüttelfrost und sah mit meinen fieberglänzenden Augen aus wie ein Irrer. Dennoch machte ich noch die Runde durch die Spielwarenläden, es war nicht mehr viel übrig, ich kaufte drauflos, fliegende Hitze folgte auf kalten Schweiß, eine Verkäuferin bot mir einen Stuhl an. Ich stopfte alles in den Kofferraum und parkte ein paar Meter vom Haus entfernt. Der Weihnachtsbaum blinkte und erleuchtete das Fenster, die Malereien erschienen und verschwanden wieder. Ich verstellte den Sitz, drehte die Heizung auf und schlief ein oder zwei Stunden. Als ich das Wohnzimmer betrat, stürzten sich die Kinder auf mich, Alex warf mir einen wütenden und zugleich erleichterten Blick zu, was ich denn nun wieder angestellt hätte, sie hätten geglaubt, ich würde nie mehr kommen. Ich zog den Champagner aus meiner Tüte, Nadine umarmte mich. Manon fand sie in ihrem schwarzen Samtkleid und mit ihrem Schmuck wunderschön, und sie hatte nicht so unrecht. Alex sah auch nicht schlecht aus, er trug ein weißes Hemd zur schwarzen Hose und hatte sich die wenigen Haare, die ihm noch blieben, schneiden lassen, das verjüngte ihn um fünf bis zehn Jahre.
»Hilf mir mal mit den Austern.«
Die Kinder machten sich wieder dran, Datteln mit blauem gelbem rosa Marzipan zu füllen. Im Wohnzimmer erklangen Weihnachtslieder, unter dem Baum war eine große Krippe aus Papier aufgebaut, der Ochs der Esel Maria
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