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Gegner des Systems

Gegner des Systems

Titel: Gegner des Systems Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Jon Watkins
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die Auswirkungen, die ihr kürzlich erlebter Anfall nach sich zog.
    Eine Art Lustlosigkeit und Vergeßlichkeit, die proportional zu der Anzahl der erlittenen Anfälle wuchsen, waren zwei der wenigen anderen Zeichen dafür, daß der Raum nicht mit gesunden Frauen und Männern belegt war. Im Fernsehen gab es Musik, Regierungsnachrichten und Parolen. Alte Nachrichtenfilme, die auf eine Leinwand an der Mauer projiziert werden konnten, waren ebenfalls vorhanden. Das eine wie das andere war mit einem kaum hörbaren Flüstern, das als Musik getarnt war, unterlegt, und keines von beiden war sehr populär. Die Langeweile war das Symptom, das am schwierigsten zu behandeln war, und die großen Fenster, die das Getto überblickten, waren gewöhnlich von Männern und Frauen verstellt, die sich davor drängten und leer durch den gelben Dunst starrten, der den Großteil der Gebäude verschleierte, die unter ihnen lagen.
    Von dem Fenster am hinteren Ende des Raums konnte man an klaren Tagen das Meer sehen, aber an klaren Tagen gab es weniger Patienten, und die meisten von ihnen zogen einen deutlichen Blick auf häßliche Häuser einer völlig verdunkelten Aussicht auf das Meer vor. Den teilweise verdeckten Blick auf den Parkplatz mieden sie ganz und gar; dort floß ein stetiger Strom von Rettungswagen entweder zu der Notentladestation oder zu der Terminiertenentladestation, wohin die Toten gebracht wurden. Bei der letzteren war der Verkehr an Tagen während der Windstille fast doppelt so stark wie sonst, und die Patienten mieden das Fenster, das sie an die Reise erinnerte, die sie wahrscheinlich in Kürze selbst antreten würden.
    Eve versorgte sowohl den Weißluftraum als auch den Notraum. Da sie in beiden leitende Assistenzärztin war, war sie befugt, notwendige kleine Operationen selbst durchzuführen, wenn kein vollwertiger Arzt da war. Sie operierte nicht sehr gern, tat es aber gewissenhaft, und alle drei Patienten, bei denen sie Luftröhrenschnitte hatte durchführen müssen, hatten sich bereits wieder soweit erholt, daß sie zum Weißluftraum gebracht werden konnten, bevor sie Feierabend machte.
    Der Schnitt in die Kehle, der einen neuen Atemweg öffnet, war diffizil, aber keine größere Operation. Nahm man den Schnitt seitwärts statt vertikal vor, dann wickelte sich die Luftröhre wie ein aufgeschlitzter Papierzylinder auf. Die Operation verlangte von ihr intensive Konzentration, und sie war müde.
    Welsh konnte nur staunen, daß sie so müde sein und trotzdem so schön aussehen konnte. Ihr blondes Haar umgab ihren Kopf wie ein Heiligenschein aus Dunst, und ihre Augen sahen wie zwei versteckte Füchse über ihre hohen Backenknochen hinweg. Er war sich sicher, daß ihr Lächeln mehr Leute heilte als der Weißluftraum. Als wollte sie auf seine Gedanken antworten, vertiefte sich ihr Lächeln noch mehr.
    In einem kleineren Kreis war sie fast so berühmt wie er, und Männer wie Frauen bettelten darum, daß man sie zu ihr brachte, wenn die Notwagen sie in Reihen von fahrbaren Betten auf der Plattform vor der Notentladestation abstellten. Sie half, wem zu helfen war, und versuchte jene zu trösten, denen nicht mehr zu helfen war. Aber trotz ihrer Sorge und Pflege starben die Sterbenden. Ständig starben sie, jung und alt, Tag für Tag.
    Das Sterben belastete sie ebenso wie ihn die Lügen, und die Müdigkeit, die sie beide fühlten, war genauso psychologisch wie physisch bedingt. Es handelte sich um eine Müdigkeit, die allumfassend geworden war, als das Sterben zunahm, die Krankheiten zunahmen, und der Befehl, davon keine Kenntnis zu nehmen, noch zwingender wurde. Mehr und mehr Dinge waren unaussprechlich geworden mit jedem neuen Tag, und selbst jene, die unter den stärksten Depressionen litten, waren gezwungen, öffentliche Vorstellungen von Optimismus zu liefern, die sie nicht einmal entfernt leisten konnten. Selbst jene, die mit aller Kraft versuchten, alles zu ignorieren, zerbrachen einer nach dem anderen, weil das Gewicht dessen, was sie vor sich sahen, stärker wurde als ihre Furcht vor den Rehabs.
    Das stetige Heulen der Notarztwagen war während der letzten Epidemie von dem unterbrochenen Heulen der Wagen der Rehabilitationstruppe übertönt worden. Die Tatsache, daß mehr Tote als Lebendige eingeliefert wurden, war nur zum Teil Ergebnis der wachsenden Virulenz des Würgens. Größer und größer wurde die Zahl derer, die tot eingeliefert wurden, weil sie von der Rehabilitationstruppe terminiert worden waren.
    Die Zahl

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