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Geh aus, mein Herz

Geh aus, mein Herz

Titel: Geh aus, mein Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Fluchen gut und wärmte, aber dann wurde es kalt und unbehaglich. Ungefähr, wie wenn man sich in die Hosen pinkelt, dachte er, während er vor der Rinne stand und darauf wartete, dass der Mann neben ihm weggehen würde, damit er sich in Ruhe entleeren konnte. Beim Pinkeln gedrängt an der Rinne zu stehen wie auf einer Tribüne – das mochte er nicht, und er vermutete, dass er mit diesem Gefühl nicht allein war. Pissrinnen. Zur Hölle mit ihnen.
    Es war nicht das Bier, da er keins getrunken hatte. Peter Sjögren trank Bier, aber Wide hatte sich für Wasser entschieden, und er hoffte, die Entscheidung den ganzen Abend durchzuhalten.
    »Du bist also in die alte Heimat zurückgekehrt«, sagte Sjögren, als Wide zurückkam und sich ihm gegenüber an den Ecktisch setzte.
    »Ja. Teilweise war das eine Reise in die Vergangenheit.«
    »Teilweise?«
    »Ich hatte geglaubt, es würde mich mehr … berühren, nicht nostalgisch oder so, aber stärkere Gefühle hervorrufen für das, was gewesen ist.«
    »Du hast nicht lange genug in the old country gewohnt.«
    »So wird’s wohl sein.«
    »Guck mich an. Bei mir kann man von starken Banden sprechen.«
    Wide sah Peter Sjögren an. Er fragte sich, ob der Mann nach seinem Wegzug auch nur ein einziges Mal wieder dort gewesen war. Göteborg war sein Zuhause, aber Wide bezweifelte, dass Sjögren es auch so empfand. Peter Sjögren schien nirgends zu Hause zu sein, höchstens vorübergehend in der Kneipe, und Wide spürte plötzlich Trauer, als er den Freund aus der Kindheit betrachtete. Vielleicht empfand Sjögren dasselbe, wenn er Wide ansah.
    » Heimat. Wogende Steinmauern, der Pflug, die Sense, der Hammer, die Sichel und die Axt, die die Finger in Blut tauchten. Erinnerst du dich an die Heufuhren in Torset, Jon?«
    »An eins erinnere ich mich jedenfalls.«
    »Als wir auf die Stierweide gefallen sind.«
    »Als ich auf die Stierweide gefallen bin und du die Pforte sorgfältig geschlossen hast. Von außen.«
    »Hat sich das so abgespielt?«, fragte Peter Sjögren mit einem schwachen Grinsen. Dann wurde sein Gesicht ernst. Er nahm einen Schluck Bier und stellte das Tulpenglas ab.
    »Mensch, du hast mich dazu verführt, alte Fotos anzusehen, und das hab ich mit gemischten Gefühlen getan.«
    »Die große Wehmut.«
    »Das nicht gerade, aber ich musste an die letzten Schultage vor den Sommerferien denken. Da kann man vielleicht von Wehmut reden. Ich weiß nicht. Wir sitzen in der Kirche, und das Chlorophyll dringt fast durch die Mauern, so grün und schön ist es. Die Sonne wartet in der schönen Sommerzeit, und man soll rausstürzen und die Gaben vom lieben Gott annehmen. Aber haufenweise lagen solche Gaben ja nicht gerade herum.«
    »Es gab doch die eine oder andere Heufuhre.«
    »Die haben uns ein falsches Bild von der Wirklichkeit vermittelt.«
    »Darüber hast du also nachgedacht.«
    Peter Sjögren nahm noch einen Schluck, bekam einen anderen Glanz in die Augen.
    »Es ist wie mit den Medien. Deren Bilder von der Wirklichkeit geben auch nicht die Realität wieder.«
    »Nein, bei Gott nicht«, pflichtete Wide bei und goss sich den Rest Wasser aus der Flasche ein. »Wenn es so wäre, würde die Menschheit aus Männern in den Fünfzigern bestehen, die eine Halbglatze haben und blank gewetzte, billige, dunkle Anzüge tragen.«
    »Ich meine, dass Medien, wir, ich, wenn man sich so weit raushängen will, Bilder schaffen, die gefährliche Erwartungen hervorrufen. Die Journalisten haben sich selbst eine Institution geschaffen. Das ist doch schäbig, nicht? Journalisten sind keine gut schreibenden Flaneure mehr. Und das ist schade. Ich möchte so einer sein.«
    »Ein gut schreibender Flaneur?«
    »Wenigstens ein Flaneur.«
    »Dann ist es wohl an der Zeit, die richtige Welt willkommen zu heißen.«
    »Vielleicht.«
    »Ihr habt eine Welt geschaffen, in der sich die Gesellschaft in den Medien abspielt.«
    »Hhmm.«
    »Ach, ich weiß nicht. Aber es gibt viel da draußen, hier draußen, was nicht in den Zeitungen oder im Fernsehen auftaucht. Das richtige Leben.«
    »Ja.«
    »Das richtige, armselige Leben. Das Leben der Opfer«, fuhr Wide fort und bekam eine neue Flasche Vichy Nouveau auf den Tisch gestellt, »und wenn die Journalisten, oder wie sie sich nun nennen, weiterhin der Macht ihre kleinen pathetischen Stiche versetzen, können die Politiker sich als Opfer darstellen.«
    »Das ist wohl schon passiert.«
    »Ja. Aber das Gerede über mediale Macht nimmt zu, und dann wird es gefährlich, eine

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