Geh Ich Auf Meine Hochzeit
lange Schatten auf den Garten. Es war eiskalt und dunkel, doch Evie wollte noch nicht ins Haus. Dort würde es warm und einladend sein, in der Küche würde der Holzkohleofen knistern, etwas Leckeres stände auf dem Tisch, und Vida und ihr Vater würden sich über ihr Kommen freuen. Vermutlich war Cara mit ihren Freundinnen bereits da, und alle saßen lachend und plaudernd und weihnachtlich froh beisammen. Doch Evie war nicht nach Feiern zumute. Sie empfand ein dunkles Gefühl, wie sie es früher zu Weihnachten häufig erlebt hatte durch und durch bedrückend. Definitiv würde sie nie wieder glücklich sein. Die einzige Empfindung, die sie in diesen Tagen kannte, war die der Dumpfheit und Abgestorbenheit.
Doch dumpf und abgestorben konnte man ja nicht in alle Ewigkeiten bleiben, oder? Vielleicht doch, denn immerhin entsprach das bereits seit fast vier Monaten ihrer Stimmungslage.
Sie öffnete den Kofferraum und betrachtete müde Gepäck sowie die in wildem Durcheinander gestapelten Tüten. Vermutlich hatte sie alles Mögliche vergessen. Das musste man sich einmal vergegenwärtigen! Die ehemals immer so perfekt organisierte Evie Fraser hatte diesmal ihre Weihnachtsgeschenke nicht bereits seit Anfang November eingepackt, beschriftet und auf der Liste ausgestrichen. Gleichgültig ließ sie ihre Blicke wandern. Diese Evie war auf immer verschwunden, ebenso die naive Unschuld, die an die wahre Liebe geglaubt und sich von der Wirklichkeit durch ihre Romänchen isoliert hatte.
Sicher war nur eines, nämlich dass sie den neuesten Killerroman eingepackt hatte. Kannibalismus und Verstümmelung waren vielleicht nicht gerade die geeignetsten Themen vor dem Einschlafen, aber immerhin vertrieben sie die menschlichen Gespenster aus ihren Träumen. Alpträume von Monstern waren einfacher zu verkraften als die verzweifelten Träume von dem Mann, den sie liebte und verloren hatte. Sie hörte Schritte auf dem Kies. Ihr Vater kam, um ihr bei dem Gepäck behilflich zu sein.
Doch es war nicht ihr Vater. Es war jemand, den sie als Allerletzten erwartet hätte: Max! Vida hatte gesagt, er sei nicht in Irland, sondern bereits seit Monaten verreist. Nur aufgrund seiner Abwesenheit hatte sie zugestimmt, über Weihnachten nach Ballymoreen zu kommen. Sie würde in den Wagen steigen und auf der Stelle zurückfahren, dachte sie hysterisch. Er würde mit Mia hier sein, und das konnte sie beim besten Willen nicht ertragen.
Jetzt kam er auf sie zu. Trotz seines alten Pullovers mit Hundehaaren und den abgetragenen Jeans sah er gut aus. Sein Gesicht lag im Schatten, da sein Rücken dem Alarmlicht zugewandt war. Doch die Schatten konnten nicht das Leuchten in seinem Blick verschleiern, als er sie anschaute. Er schien dünner, als sie ihn im Gedächtnis hatte - zwar immer noch ein Urbild von einem Mann, aber jetzt mehr ein Panther denn ein Grizzly. Evie trat einen Schritt zurück in Richtung Auto.
»Was machst du denn hier?« Ihre Nervosität ließ ihre Stimme hart werden.
»Ich warte auf dich.«
»Warum?«, zischte sie. Sie fühlte sich wie ein Fuchs in der Falle.
Jetzt war Max neben ihr, sein Gesicht hing zärtlich über ihr.
»Um dir zu sagen, dass wir schon viel zu viel Zeit verschwendet haben und nicht noch mehr davon verschwenden werden!«
Allein seine Stimme brachte Evie zum Schmelzen. Sie sehnte sich danach, ihn zu berühren, ihre Finger durch sein dichtes schwarzes Haar gleiten zu lassen, seine Lippen auf ihren zu spüren. Dann blinzelte sie. Was hatte er gesagt?
»Was hast du gesagt?«
Er wiederholte es. »Ich liebe dich, und ich lasse dich nicht aus den Augen, ehe du dich nicht einverstanden erklärst, den Rest deines Lebens mit mir zu verbringen.«
Evie starrte ihn an. »Warum?«, fragte sie und merkte gleichzeitig, wie dämlich sich das anhören musste.
»Weil meine Mutter mich vor drei Tagen in Südafrika angerufen und mir gesagt hat, ich solle mich nicht weiter wie ein Idiot benehmen und nach Hause kommen. Du hättest nicht geheiratet und würdest dich nach mir verzehren, und warum ich noch nichts unternommen hätte.«
»A-aber warum... wie?« Mehr brachte Evie nicht heraus. Alles war so verwirrend. So oft hatte sie von ihm geträumt, doch jetzt, wo er da war, kam ihr alles seltsam vor. Sicherlich bildete sie sich diese Begegnung nur ein, eine Nachwirkung der stundenlangen Fahrt auf kleinen Landstraßen im Dunklen.
»›Wie ist gut‹«, meinte Max und sein Gesicht erhellte sich lachend. »In letzter Minute einen Flug zur
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