Geheimakte: Das Vermächtnis von Nummer Sechs - das Erbe von Lorien
an ihrem Rockbund befestigt.
Sie lächelt. »Mr. Smith?«
»Ja«, bestätigt Henri.
»Ich bin Annie Hart von Paradise Reality. Wir haben miteinander telefoniert. Ich habe vorhin versucht, Sie zu erreichen, aber Ihr Handy ist offenbar ausgeschaltet.«
»Ja, leider hat der Akku auf der Fahrt hierher versagt.«
»Oh, ich hasse es, wenn mir das passiert.« Sie kommt auf uns zu und schüttelt Henri die Hand. Dann fragt sie mich nach meinem Namen und ich kann mich gerade noch zügeln, einfach nur »Vier« zu sagen. Während Henri den Mietvertrag unterschreibt, erkundigt sie sich nach meinem Alter und erzählt, dass ihre etwa gleichaltrige Tochter auf die örtliche Highschool gehe. Sie ist |95| sehr freundlich und entgegenkommend, offensichtlich plaudert sie gern. Zu dritt gehen wir ins Haus.
Drinnen sind die meisten Möbel mit weißen Laken verhüllt. Auf den unbedeckten liegt zentimeterdick Staub, dazwischen tote Insekten. Die Jalousien in den Fenstern sehen brüchig aus, die Wände sind mit billigem Sperrholz getäfelt. Es gibt zwei Schlafzimmer, eine ziemlich kleine Küche mit lindgrünem Linoleumboden und ein Bad. Das Wohnzimmer ist ein großes Rechteck auf der Vorderseite des Hauses mit einem Kamin in der hintersten Ecke. Ich werfe meine Tasche auf das Bett im kleineren Schlafzimmer, in dem ein riesiges ausgeblichenes Poster von einem Footballspieler hängt; sein Trikot ist in einem grellen Orange. Bernie Kosar, Quarterback, Cleveland Browns steht darunter.
»Komm, verabschiede dich von Mrs. Hart!«, ruft Henri aus dem Wohnzimmer.
Mrs. Hart steht mit ihm an der Tür. Sie sagt, ich solle mich in der Schule nach ihrer Tochter umschauen, vielleicht könnten wir Freunde werden. Ich lächle und antworte: »Ja, das wäre nett.«
Sofort nachdem sie gegangen ist, entladen wir den Truck. Je nachdem, wie schnell wir einen Ort verlassen müssen, reisen wir entweder sehr leicht – also nur mit den Sachen, die wir anhaben, Henris Laptop und dem kunstvoll geschnitzten lorienischen Kasten, den wir überallhin mitnehmen – oder bringen ein paar Dinge mit, meistens Henris andere Computer plus Zubehör; alles, was er für Sicherheitsmaßnahmen und Internetrecherche nach Informationen und Ereignissen, die mit uns zusammenhängen könnten, benötigt. Diesmal haben wir den Kasten dabei, die beiden Hochleistungscomputer, vier Fernsehmonitore und vier Kameras. Auch einiges zum Anziehen ist eingepackt, obwohl nicht viele der Klamotten aus Florida für Ohio geeignet sind. Henri trägt den Kasten in sein Zimmer, danach schleppen wir alle Geräte in den Keller, wo er sie aufstellen wird und kein Besucher sie entdecken kann. Sowie alles im Haus ist, baut er die Kameras auf und schaltet die Monitore ein.
|96| »Vor morgen früh haben wir hier kein Internet. Aber wenn du morgen in die Schule gehen willst, kann ich dir deine neuen Dokumente ausdrucken.«
»Muss ich dir beim Putzen und Einrichten helfen, wenn ich hierbleibe?«
»Ja.«
»Klar, ich gehe in die Schule«, sage ich.
»Dann leg dich lieber rechtzeitig schlafen.«
ENDE DES AUSZUGS
|97| AUSZUG AUS
»DIE MACHT DER SECHS«
Das Erbe von Lorien - Teil 2
Erscheint im März 2012
|98| 9
Wenn morgens die Glocke läutet, bin ich als Erste wach. Immer. Nicht, weil ich ein Morgenmensch bin, sondern weil ich vor allen anderen ins Badezimmer und wieder heraus möchte.
Schnell mache ich mein Bett, was mir nach all der Zeit hier ziemlich gut gelingt. Der Trick dabei ist, Bettlaken und Bettdecke am Fußende ordentlich festzustopfen. Dann muss man nur noch die andere Seite zum Kopfende hochziehen, die Seiten am Bettrand festmachen und die Kissen hinzufügen, sodass alles sauber und aufgeräumt aussieht — so, als könne eine Münze, die man darauf wirft, wieder abfedern und herunterfallen.
Als ich fertig bin, ist Ella, das Mädchen, das am Sonntag angekommen ist und das Bett nahe der Tür zugewiesen bekommen hat, als Einzige ebenfalls wach. Wie an den beiden vorausgegangenen Tagen versucht sie, mir beim Bettenmachen nachzueifern, kämpft sich aber immer noch damit ab. Ihr Problem ist, dass sie am Kopfende beginnt statt am Fußende. Schwester Katherine, deren einwöchige Aufsicht an diesem Morgen endet, war bisher nachsichtig mit ihr. Jetzt beginnt Schwester Doras Turnus und ich weiß, dass sie Ella keine Fehler durchgehen lassen wird, egal wie neu sie auch bei uns ist oder was sie gerade durchgemacht hat.
»Soll ich dir helfen?«, frage ich quer durch den Raum.
Mit
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