Geheimauftrag Phantom
natürlich.«
Nebeneinander schritten wir durch das stille Internat. Madame Sousa räusperte sich einige Male, als wollte sie nur die Stille durchbrechen. Unerwartet stellte sie eine Frage. »Gefällt Ihnen die Ruhe hier?«
Ich lachte leise. »Wie meinen Sie das denn?«
»Mir gefällt die Stille nicht.«
»Und weshalb nicht?«
»Sie hat etwas Unnatürliches an sich, verstehen Sie? Die ist nicht normal.«
Ich winkte ab. »Ach, das meinen Sie nur.«
»Nein, man kann es spüren.« Die Frau schaute sich um, als würde sie etwas Bestimmtes suchen. »Ich weiß es!« flüsterte sie. »Man kann mir nichts vormachen. Ich möchte auf einen Vergleich hinweisen. Wie die Ruhe vor dem Sturm.« Sie schüttelte ihren rotgelockten Kopf. »Da ist einiges nicht in Ordnung. Es würde mich nicht wundern, wenn der Killer plötzlich in dem Internat erscheint.«
»Das hat er noch nie getan!«
»Ich weiß. Aber was sollte ihn abhalten?«
»Die Türen, die Mauern. Es ist alles verschlossen.«
Sie tippte mir einige Male gegen die Brust. »Mr. Sinclair, ich sage Ihnen, daß es für Menschen wie ihn keine Hindernisse gibt. Darauf können Sie sich verlassen.«
»Menschen?« fragte ich. Haben Sie nicht gesagt, er wäre ein Phantom?
»Das ist wenigstens die allgemeine Ansicht.«
»Ja, so denkt auch die Polizei.«
Das war das Stichwort. Wir hatten ihr Büro erreicht, wo ich die Karte des Kollegen aus der Tasche holte, die er mir gegeben hatte. Eine Vorwahl brauchte ich nicht, ich wählte direkt die Privatnummer. Es meldete sich eine verschlafen klingende Frauenstimme.
Mit einigen italienischen Sätzen bat ich, den Leutnant sprechen zu dürfen.
Ich mußte mich gedulden, dann hörte ich Teneros Stimme. »Nein, Sinclair, das darf nicht wahr sein.«
»Doch, wir haben einen vierten Toten.«
»Moment mal, Toten? Kein Mädchen?«
»So ist es.«
»Wer ist umgekommen?«
»Ein gewisser Erwin, Hausmeister und Helfer an der Schule. Er wurde im Lago von einem Monstrum umgebracht, das aus den Fluten gestiegen ist. Ich konnte es dann erledigen.«
»Sie… Sie sind…«
»Leutnant, ich bin leider nicht verrückt. Es ist alles so gewesen, wie ich es Ihnen gesagt habe.«
»Okay, ich trommle meine Mannschaft zusammen.«
»Noch etwas«, sagte ich, »machen Sie sich auf einen schlimmen Anblick gefaßt. Das Monster war nicht gerade zimperlich.«
»Bene, bis gleich.«
Als ich auflegte, forderte mich Madame Sousa auf, endlich die Wahrheit zu sagen. »Sie sind kein normaler Leibwächter, Mr. Sinclair. Da können Sie sagen, was Sie wollen.«
»Nein, das bin ich nicht.«
»Sondern?«
»Polizist, Scotland-Yard-Mann.«
Sie schaute mich an und wußte zunächst nicht, was sie sagen sollte. Dann ging sie einen Schritt zurück. »Respekt, meinen Respekt.« Sie nickte. »Damit haben Sie selbst mich überrascht.«
»Sagen Sie es nicht weiter, der Leutnant weiß übrigens Bescheid. Sie hätten es sowieso erfahren.«
»Ja, bestimmt.« Sie lachte auf und schüttelte den Kopf. »Ich kann es noch immer nicht fassen. Da kommt jemand aus London hierher, um eine Schülerin zu beschützen. Aber den echten Killer, den haben Sie noch immer nicht gefangen — wie?«
»Es scheint so.«
»Und was wollen Sie machen, wenn Sie morgen mit dem Mädchen abgereist sind?«
»Wiederkommen, Madame…«
***
Zwei Fingergriffen in die kleine, weiche Bleistifttasche und holten den flachen Stift hervor.
Der Maler atmete heftig. Es hörte sich schon keuchend an, und er spürte genau, wie ihn Fieberschauer durchtosten. Sein Blut meldete sich oder das andere in seinem Blut. Der andere Teil, dereine Niederlage erlebt hatte.
Das sollte sich ändern, das mußte sich ändern. Mit der freien linken Hand strich der Künstler ein Blatt Papier glatt. Wenn er zeichnete, mußte es faltenlos sein.
Der Bleistift huschte mit der Spitze über die weiße Fläche. Zunächst nur leicht, fast schattenhaft, dann immer schneller, auch härter drückend, so daß Konturen entstanden.
Gänge, Flure, Zimmertüren…
Wie in einem Hotel oder auch in einem Internat. Genau das war es. Ein Dritter, der sich auskannte, hätte alles sehr genau erkennen können. Was dort auf dem Blatt Papier entstand, war das Innere des Castellos. Sehr gut gezeichnet, von der Perspektive hervorragend angelegt, es fehlten nur noch die Menschen.
Darauf verzichtete der Künstler. Ein Mensch reichte ihm. Die malende Hand setzte genau diesen einen Menschen in die Mitte eines langen Ganges.
Er besaß einen wallenden Umriß,
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