Geheime Melodie
Brief, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Lieber Bruno. »Aha, in Battersea. Sie haben sich also hingesetzt und alles aufgeschrieben, woran Sie sich erinnern konnten, Wort für Wort. Herrlich.«
»Alles.«
»Angefangen wo?«
»Bei Mr. Anderson.«
»Und weiter?«
»Berkeley Square. Kraftwerk Battersea. Flughafen Luton. Die Insel. Zurück.«
»Dann ist es also Ihr Bericht über das, was Sie auf Ihrer Insel gesehen und gehört haben, mehrere Stunden später in Ihrer schnuckeligen Wohnung in Battersea aus dem Gedächtnis aufgeschrieben.«
»Genau.«
»Sie sind zweifellos ein kluges Köpfchen, aber ich fürchte, was Sie da in der Hand haben, ist in keiner Hinsicht beweistauglich. Ich bin zufälligerweise Anwalt. Haben Sie die Notizen bei sich?«
»Nein.«
»Haben Sie sie vielleicht zu Hause gelassen?«
»Möglich.«
»Möglich. Aber Sie haben natürlich jederzeit Zugriff darauf, sollten Sie auf die Idee kommen, mich zu erpressen oder Ihre aberwitzige Geschichte an die Medien zu verkaufen.« Er seufzte, wie ein rechtschaffener Mann, der zu einem traurigen Schluß gekommen ist. »Tja, da wären wir also. Sie tun mir leid. Sie sind sehr beredsam, und ich bin überzeugt, Sie glauben jedes Wort, das Sie von sich geben. Aber ich möchte Ihnen davon abraten, Ihre Anschuldigungen außerhalb dieser vier W ände zu wiederholen. Nicht jeder würde darauf so nachsichtig reagieren wie wir. Entweder Sie sind ein ausgekochter Krimineller, oder Sie gehören in ärztliche Behandlung. Wahrscheinlich beides.«
»Er ist verheiratet, Darling«, sprang Lady Kitty ihm bei.
»Haben Sie Ihrer Frau davon erzählt?«
Ich glaube, ich verneinte.
»Frag ihn, warum er einen Kassettenrecorder mitgebracht hat.«
»Ja, warum?«
»Ich habe immer einen dabei. Andere Leute haben einen Laptop. Ich bin ein Spitzendolmetscher, deshalb habe ich einen Kassettenrecorder.«
»Ohne Kassetten«, erinnerte uns Lady Kitty.
»Die bewahre ich getrennt auf«, sagte ich.
Einen Augenblick lang bef ürchtete ich schon, Brinkley würde mich auffordern, meine Taschen auszuleeren, in welchem Fall ich für nichts hätte garantieren können, aber so weit reichte seine Unverfrorenheit denn doch nicht. Als ich unter Lady Kittys Batterie von Überwachungskameras hindurch aus dem Haus trat, hätte ich mich am liebsten nach rechts statt nach links gewandt oder mich gleich vor die Räder eines vorbeifahrenden Autos geworfen, um meiner geliebten Hannah nur ja nicht das volle Ausmaß meiner Dummheit, Wut und Erniedrigung eingestehen zu müssen, doch zum Glück waren meine Füße klüger als ich. Sie kam mir auf der Schwelle des Cafés entgegen. Mein Gesicht sagte anscheinend alles. Ich nahm die Bänder und Blöcke wieder an mich. Hannah um fa ßte meinen Arm mit beiden Händen und führte mich behutsam den Bürgersteig entlang, als wäre ich ein Unfallopfer, das sie von der Unfallstelle weggeleitete.
* * *
Unterwegs kauften wir in einem Supermarkt eine Lasagne und eine Fischpastete, die wir in der Mikrowelle der Hakims aufw ärmen konnten, Salat und Obst, Brot und Käse, Milch, sechs Dosen Ölsardinen, Tee und zwei Flaschen Rioja. Ich hielt ein Taxi an. Mein Gedächtnis förderte nicht nur die Adresse der Pension zutage, ich dachte auch daran, den Fahrer zwanzig Hausnummern davor anhalten zu lassen. Meine Sorge galt nicht mir, sondern Hannah. In einer fehlgeleiteten Anwandlung von Ritterlichkeit schlug ich ihr sogar vor, wieder zurück ins Schwesternheim zu ziehen.
»Gute Idee, Salvo. Ich suche mir einen gutaussehenden jungen Arzt, und du kannst Kivu alleine retten.«
Aber als wir uns zu unserem ersten h äuslichen Mahl niedersetzten, hatte sie ihre gute Laune wiedergefunden.
»Weißt du was?«
»Was?«
»Dieser Kerl, dein Lord Brinkley. Ich glaube, der gehört zu einem ganz, ganz üblen Stamm«, sagte sie, und dann schüttelte sie den Kopf und lachte, bis mir nichts anderes übrigblieb, als mitzulachen.
* * *
Nach Tante Imeldas Uhr war es Viertel nach vier, als Hannah mich weckte, weil auf dem Glastisch im Erker mein Handy brummte. Nach dem Treffen mit Lord Brinkley hatte ich vergessen, es wieder auszuschalten. Bis ich am Fenster war, hatte der Anrufer auf die Mailbox gesprochen.
Penelope: Meine Wohnung, Salvo! Die Wohnung, aus der du ausgezogen bist, nicht ich. Und du besitzt die Dreistigkeit, die Frechheit … Weißt du, was ich mache? Ich sag’s dir. Ich hetz dir die Bullen auf den Hals. Du kriegst eine Unterlassungsklage, die sich gewaschen hat.
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