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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Anzug, ein weißes Baumwollhemd und eine teure Krawatte aus geflammter roter Seide, die ich erfolglos als Würgeschlinge einzusetzen versuchte.
    Ob ich ihn h ätte erdrosseln können? Der Teufel ritt mich heftig genug, wie mein seliger Vater gesagt hätte, doch dann setzte mich einer der Knaben außer Gefecht, womit, sah ich nicht, aber ein Totschläger war es mindestens. Jetzt, drei Monate sp äter, habe ich – neben anderen Abschürfungen – immer noch eine hühnereigroße Beule links am Hinterkopf. Als ich wieder zu mir kam, stand Philip gesund und munter vor dem erwähnten Kamin, und neben ihm eine würdige grauhaarige Dame in Tweedkostüm und praktischen Schuhen, die ich, noch bevor sie zum erstenmal »Brian, mein Lieber« sagte, augenblicklich als Sam erkannte. Sie war die archetypische Tennisschiedsrichterin, die in Wimbledon auf dem Hochstuhl sitzt und die Spielerinnen sechs Fuß unter ihr ermahnt, doch bitte an ihre Manieren zu denken.
    Das waren meine ersten Eindr ücke, als ich erwachte. Zunächst wunderte ich mich, daß die beiden blonden Knaben nirgendwo zu sehen waren, aber als ich den Kopf so weit wie mir möglich drehte, erspähte ich sie durch die offene Tür. Sie saßen auf der anderen Seite des Korridors und sahen fern, ohne Ton. Es war ein Cricketländerspiel, und die Australier lagen aussichtslos zurück. Als ich den Kopf in die andere Richtung drehte, saß da zu meinem Erstaunen ein Engel, der über meine guten und schlechten Taten Buch führte. Er saß an einem Schreibtisch und zwar im Erker, den ich jedoch im ersten Moment für den Erker in unserem Zimmer in Mr. Hakims Pension hielt. Sonnenschein umflutete ihn wie eine himmlische Erscheinung, trotz seiner Halbglatze und der Brille. Sein Tisch war Onkel Henrys Falttisch, bei dem man die gekreuzten Beine einklappen konnte, bevor man sich in die nächste Schlacht stürzte. Wie Philip trug er einen Anzug, nur daß es bei ihm die abgewetzte Chauffeursvariante war, und er beugte sich mit krummem R ücken über den Tisch wie ein Schreiber aus einem Dickens-Roman, der sich keinen Schlendrian nachsagen lassen will.
    »Und das ist Arthur aus dem Innenministerium, Brian, mein Lieber«, erklärte Sam, der mein Interesse an dem Mann nicht entgangen war. »Arthur ist so gut, für uns die verwaltungstechnischen Formalitäten zu regeln, nicht wahr, Arthur?«
    Arthur verzichtete auf eine Antwort.
    »Arthur ist weisungsbefugt«, ergänzte Philip. »Sam und ich nicht. Wir sind lediglich Berater.«
    »Und Hannah ist in den besten Händen, nur für den Fall, daß Sie etwas anderes befürchtet haben«, fuhr Sam mit ihrer liebenswürdigen Stimme fort. »Sie wird sich bei Ihnen melden, sobald sie zu Hause eingetroffen ist.«
    Zu Hause? Was f ür ein Zuhause? Mr. Hakims Pension? Das Schwesternheim? Die Norfolk Mansions? Zuhause war ein Wort, mit dem ich verständlicherweise noch nie viel anfangen konnte.
    »Leider, leider hat Hannah gegen die Bestimmungen ihres Visums verstoßen«, erläuterte Sam. »Deswegen ist Arthur hier. Damit alles seinen geregelten Gang geht, nicht wahr, Arthur? Hannah ist nach England gekommen, um als Krankenschwester zu arbeiten. Und um ihr Diplom zu machen, die Gute. Damit sie nach ihrer Rückkehr ihrem Land helfen kann. Sie ist nicht hier, um sich an politischen Agitationen zu beteiligen. Davon steht nichts in ihrer Tätigkeitsbeschreibung, oder, Arthur?«
    »Kein Wort«, bestätigte Arthur näselnd von seiner Warte im Erker. »Da steht ›Krankenpflege‹ und sonst nichts. Wenn sie agitieren will, soll sie es zu Hause machen.«
    »Hannah hat demonstriert, Salvo«, sagte Sam mitfühlend. »Und leider Gottes nicht nur einmal.«
    »Wieso? Wogegen?« fragte ich durch den wabernden Nebel in meinem Kopf hindurch.
    »Gegen den Irak, was sie überhaupt nichts anging.«
    »Krasser Verstoß«, bemerkte Arthur. »Und Darfur, was sie ebenfalls nichts anging.«
    »Dazu kommt ihr Ausflug nach Birmingham, der ausschließlich politischen Zwecken diente«, sagte Sam. »Und nun auch noch das.«
    »Das? Was?« fragte ich, ob laut oder stumm, weiß ich nicht.
    »Geheime Verschlußsachen«, verkündete Arthur zufrieden. »Widerrechtliche Aneignung, Besitz und Weitergabe derselben an eine ausländische Macht. Schlimmer geht’s kaum. Noch dazu war der Empfänger besagter Verschlußsachen mit paramilitärischen Milizen involviert, womit ein klarer Fall von Terrorismus vorliegt.«
    Allm ählich kehrte mein Reaktionsvermögen zurück. »Sie wollte einen

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