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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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unter den Umständen möglich war. In meiner extremen Ordnungsliebe – die Penelope, angeleitet von Paula, als analfixiert bezeichnet hatte – zog ich das Bett ab, schüttelte die Kopfkissen auf, holte die Handtücher aus dem Badezimmer und legte das W äschebündel in eine Ecke.
    Noch mehr Sorgfalt verwandte ich auf meine Kleidung – zu frisch war der Eindruck von Maxie und seinen Männern, die augenscheinlich dazu verdammt waren, sich für viele Jahre mit nur einer Montur begnügen zu müssen. Ich entschied mich daher für eine robuste Cordjeans, die Lederjacke, auf die noch eine Weile Verlaß sein würde, Turnschuhe, meine Pudelmütze und so viele Hemden, Socken und Unterhosen, wie mit etwas Gewalt in meinen Rucksack paßten. Außerdem steckte ich meine kostbarsten persönlichen Gegenstände ein, darunter das gerahmte Photo von Noah.
    Als allerletztes holte ich die Umh ängetasche aus ihrem Versteck hinter dem Kleiderschrank hervor, und nachdem ich sie noch einmal durchsucht und mir das Fehlen der beiden Bänder bestätigt hatte – denn im Verlauf der letzten achtundvierzig Stunden hatten Phantasie und Realität etliche Male hinter meinem Rücken die Plätze getauscht –, schloß ich die Tür unseres kurzlebigen kleinen Paradieses, verabschiedete mich rasch von den verdatterten Hakims und stieg in das Taxi, das bereitstand, um mich zu der Adresse in Regent’s Park zu befördern, zu der Sam mich einbestellt hatte.
    Meine Rekonstruktion dessen, was nun folgt, ist so akkurat, wie es mein Ged ächtnis zuläßt – immer unter Berücksichtigung der Tatsache, daß ich zu der Zeit weder im Vollbesitz meines Sehvermögens noch meiner sonstigen Kräfte war. Wir hielten vor einem eleganten Haus im Albany Crescent NW1 – für das man gut und gern mehrere Millionen hätte hinblättern müssen –, und das erste, was ich sah, waren zwei junge Männer in Trainingsanzügen, die sich im Vorgarten einen Medizinball zuwarfen. Als ich ausstieg, hörten sie auf zu spielen, drehten sich um und beäugten mich neugierig. Ohne mich durch ihr Interesse beirren zu lassen, bezahlte ich in aller Ruhe das Taxi, legte noch ein großzügiges Trinkgeld obendrauf und ging zum Tor, woraufhin mich der näher bei mir stehende der beiden lässig fragte, ob er mir behilflich sein könne.
    »Schon möglich«, antwortete ich ebenso munter. »Ich hätte gern Philip in einer persönlichen Angelegenheit gesprochen.«
    »Dann sind Sie hier richtig, Sportsfreund«, antwortete er und bemächtigte sich mit übertriebener Höflichkeit meines Rucksacks, während mir der zweite Knabe die Umhängetasche abnahm, so daß mich nichts mehr in meiner Bewegungsfreiheit einschränkte. Der erste schritt auf dem gekiesten Weg zum Eingang und hielt mir die Tür auf, der zweite reihte sich, ein Liedchen pfeifend, hinter uns ein. Unser ungezwungener Gesprächston ist schnell erklärt. Es waren dieselben blonden Knaben, die in stramm durchgeknöpften Jacketts am Berkeley Square hinter dem Empfang gestanden hatten. Das heißt, sie kannten mich als einen Duckmäuser. Ich war das zahme Männlein, das von Bridget bei ihnen abgeliefert worden war. Das ihnen auf Befehl die Reisetasche ausgehändigt und gehorsam auf der Galerie gewartet hatte, bis es hinter Maxie davontrotten durfte. Der Psychologie ihres Gewerbes entspre chend hatten sie mich als zahnlosen Underdog eingestuft. Damit hatte ich das Überraschungsmoment auf meiner Seite.
    Als wir das Wohnzimmer betraten, war mein Vordermann einen guten Schritt voraus, und er wurde von meinem Rucksack behindert. Von Natur aus gro ßspurig, ging er federnd und leicht, auch rechnete er mit nichts Bösem. Ein kräftiger Stoß reichte, um ihn zu fällen. Der Knabe hinter mir war noch damit beschäftigt, die Haustür zu schließen. Am Berkeley Square war mir seine mürrische Selbstgefälligkeit aufgefallen. Auch heute war sie nicht zu übersehen. Vielleicht wußte er, daß er sich mit der Umhängetasche den ersten Preis gesichert hatte. Ein gutgezielter Tritt in die Weichteile, und schon war es mit seiner Arroganz vorbei.
    Damit war der Weg zu Philip frei. Mit einem einzigen Satz war ich bei ihm, legte ihm die H ände um den Hals und rang mit seinen Doppelkinnen. Welchen höheren Zweck ich mit dieser Aktion verfolgte, weiß ich bis heute nicht. Ich erinnere mich, daß ich auf die hellbraunen Backsteine des offenen Kamins hinter ihm sah und mit dem Gedanken spielte, sein schönes weißes Haupt dagegenzuschmettern. Er trug einen grauen

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