Geheime Melodie
wollte sich auf dem Rücksitz mit den beiden ein paar Mäuse nebenbei verdienen, als ob Hannah so was machen würde, sie haben sie einfach von der Straße weg entführt, und die nette Polizistin sagt na ja, vielleicht ist sie ja eine Professionelle, und vielleicht sind Sie auch eine von der Sorte, Grace, und man darf der Polizei nicht ihre kostbare Zeit stehlen, dagegen gibt es sogar ein Gesetz, Grace, vielleicht sollten Sie da mal dran denken, und da bin ich ausgerastet, warum hängen Sie nicht gleich ein Schild auf, hab ich sie gefragt, wo draufsteht, daß Schwarze hier nicht ernstgenommen werden, und jetzt redet sie mit allen andren, blo ß nicht mehr mit mir.«
»Grace!«
Ich sagte es noch einmal. Grace. Drei-, viermal. Dann stellte ich ihr Fragen wie einem Kind, ganz ruhig, um sie nicht noch mehr zu ver ängstigen. Was ist passiert? Ich meine nicht jetzt, ich meine in Bognor, als ihr zusammen wart. An dem ersten Abend, als sie mit den Großen im Kino war. Das hast du mir doch erzählt. Was ist da passiert?
»Es sollte eine Überraschung für dich werden, Salvo.«
Was f ür eine Überraschung?
»Sie hat dir was aufgenommen, eine Audiodatei, hat sie gesagt, irgendwelche Musik, die sie toll findet und dir schenken wollte. Es sollte ein Geheimnis sein.«
Und wo hat sie das machen lassen, Grace?
»In einem Laden, von dem Latzi ihr erzählt hat, irgendwo einen Berg rauf, ruhige Gegend. Wir haben Latzi im Studio angerufen. Diese Musikfreaks, die haben nämlich überall Freunde, Salvo. Latzi kannte einen, der kannte einen in Bognor, und da ist Hannah dann hingegangen, während ich dich abgewimmelt hab, mehr war nicht. Großer Gott, Salvo, was um alles in der Welt geht hier vor?«
Ich lege auf. Nat ürlich, Grace. Ich danke dir. Und nachdem sie die Bänder fünf und sechs in eine Audiodatei umgewandelt hatte, brauchte sie nur noch einen Computer, den ihr garantiert Latzis Freund zur Verfügung stellen konnte, und schon gingen die Aufnahmen an Haj, zu dessen Erbauung und als Schützenhilfe im Gespr äch mit seinem Vater, den er so achtet. Nur daß sie sich die Mühe hätte sparen können, weil die ganze Operation sowieso längst den Bach runtergegangen war und weil die Meute der Lauscher und der Beobachter und all der anderen Leute, die ich irrtümlich für meine Freunde gehalten hatte, sich bereits zusammenrottete, um sie zur Strecke zu bringen.
* * *
Wer einen S ünder fangen will, so Pater Michael, der muß den Sünder in sich selbst suchen, und ich brauchte nur wenige Augenblicke dazu. Ich ging zum Kleiderschrank, wo meine Lederjacke hing. Ich holte mein Handy heraus, um die Mailbox abzuhören, und schaltete es ein. Und tatsächlich, es wartete eine Nachricht auf mich. Aber diesmal war sie nicht von Penelope und auch nicht von Barney oder von Hannah. Sie war von Philip. Und Philip sprach nicht in seiner liebenswürdigen, einschmeichelnden Stimme, sondern in dem schneidend kalten Ton, mit dem ich schon gerechnet hatte:
Ich gebe Ihnen eine Nummer, die Sie anrufen k önnen, Salvo. Tag und Nacht. Und ich möchte Ihnen einen Deal vorschlagen. Je eher Sie sich melden, desto angenehmer für alle Beteiligten.
Ich w ählte die Nummer und bekam Sam an den Apparat. Sie nannte mich Brian, wie in alten Zeiten. Haben Sie einen Stift, Brian, mein Lieber? Und einen Block? Aber natürlich, dumme Frage. Hier ist die Adresse.
19
Ich will gleich gestehen, da ß mein Vorgehen in den folgenden zehn Minuten in keiner Weise rational war, sondern vielmehr unkontrolliert zwischen dem Manischen und dem Bürokratischen hin und her pendelte. An heftigere Gefühle wie Wut oder Zorn kann ich mich nicht erinnern, auch wenn spätere Handlungen darauf hindeuten, daß solche und ähnliche Emotionen in mir brodelten. Mein erster Gedanke – einer meiner vielen ersten Gedanken – galt meinem Wirt und meiner Wirtin, den Hakims, zu denen Hannah und ich eine sehr herzliche Beziehung aufgebaut hatten, die auch ihre beiden Kinder mit einschloß, den kleinen Rabauken Rashid, Hannahs Liebling, und die zurückhaltendere Diana, die sich ausdauernd hinter der Küchentür versteckte in der Hoffnung, daß ich einmal vorbeikam. Deshalb klaubte ich einen dicken Packen von meinem Sündengeld zusammen und drückte es der verdutzten Mrs. Hakim in die Hand.
Ein n ächster erster Gedanke war, daß ich so bald keinen Fuß mehr in dieses Haus setzen würde, wenn überhaupt je wieder, weshalb ich unser Zimmer so tadellos hinterlassen wollte, wie es
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