Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
Vom Netzwerk:
habe.« Vijay bestellte für sie alle, da er als Einziger von ihnen die Speisekarte lesen konnte. Kavita kannte keines der Gerichte, die er auswählte, aber sie schmeckten wunderbar, und alles wurde auf glänzenden Tabletts und von Kellnern serviert. Sie fühlte sich wie eine Königin, und Jasus ausgelassenes Verhalten verriet ihr, dass auch er stolz war. Am Ende des Abends holte Vijay ein dickes Bündel Geldscheine hervor und bezahlte die Rechnung. Kavita hatte das inzwischen schon häufig gesehen, doch jedes Mal, wenn er die Scheine hinblätterte, griff eine kalte Hand nach ihrem Herzen.
    »Ich liebe Pistazieneis, ich könnte jeden Tag eins essen.« Jasu lässt sich den letzten Rest von der blassgrünen Creme auf der Zunge zergehen.
    »Tust du ja mittlerweile auch fast täglich«, sagt Kavita und knufft ihm mit dem Ellbogen in die Rippen.
    »Sollen wir eine Rikscha nach Hause nehmen?« Jasu hält sie am Arm, um sie durch das Gedränge auf dem Bürgersteig zu lotsen. Es ist viel angenehmer, sich am Abend eine Rikscha leisten zu können, als mit dem überfüllten Zug nach Hause fahren zu müssen. Ein Stück weiter vor ihnen hat sich ein Pulk Menschen versammelt, wahrscheinlich um einen Straßenkünstler.
    »Was ist denn da los?«, sagt Kavita. »Musiker oder Schlangenbeschwörer? Komm, wir gucken mal.« Das rhythmische Klatschen der Leute lockt sie an. Ein paar Männer haben sich auf eine niedrige Steinmauer gestellt, um besser sehen zu können. Als Kavita und Jasu schließlich nah genug rankommen, sind sie beide entsetzt über den Anblick, der sich ihnen bietet. Mitten in dem Kreis von Männern kniet eine junge Frau von höchstens achtzehn Jahren. Sie weint und wirkt desorientiert, während sie auf der Erde herumtastet. Ein Mann in dem Kreis hält ein Ende ihres Sari fest, der sich fast ganz von ihrem Körper gelöst hat. Die Bluse darunter ist in der Mitte eingerissen und entblößt ihre Brüste.
    Jasu schiebt sich durch die Menge zu der Frau und geht neben ihr in die Hocke. Er dreht sich zu dem Mann um, reißt ihm den Sari aus der Hand und brüllt: »Du Drecksack! Schämst du dich denn nicht?« Er versucht, den Sariwieder um die Frau zu legen, doch als sich das zu mühselig gestaltet, zieht er sein Hemd aus und breitet es über ihre Schultern, um ihre nackte Haut vor den lüsternen Blicken zu schützen.
    »He, bhaiyo , hau ab. Verdirb uns nicht den Spaß!«, ruft einer der Umstehenden.
    Die tastenden Hände der jungen Frau finden schließlich, wonach sie gesucht haben – eine Brille, deren Gläser jetzt gesprungen und mit Dreck verschmiert sind. Sie setzt sie auf, rappelt sich hoch und zieht Jasus Hemd fest um sich. Kavita blickt ihr ins Gesicht. Die Stirn ist zu breit, die Augen stehen zu weit auseinander. Sie begreift entsetzt, dass die junge Frau geistig zurückgeblieben ist. Sie sieht dieselbe Erkenntnis auch in Jasus Gesicht aufflackern und sogleich in Wut umschlagen.
    »Spaß? Das nennt ihr Spaß?«, brüllt er die versammelten Männer an, von denen sich einige jetzt entfernen. » Arre , ihr solltet euch schämen. Sie ist ein unschuldiges Mädchen! Wie wäre euch zumute, wenn eure Frau so behandelt würde? Eure Schwester? Eure Tochter? Was?« Jasu, jetzt nur in einem ärmellosen Unterhemd, gestikuliert drohend vor den paar Männern, die noch geblieben sind und sich einfach nicht mit dem vorzeitigen Ende ihrer Belustigung abfinden können.
    Kavita geht rasch zu der jungen Frau und führt sie von der Menge weg. »Alles in Ordnung, beti? «, flüstert sie, als sie an einem Baum stehen bleiben. Das Mädchen nickt stumm. »Wo wohnst du? Brauchst du paise , um nach Hause zu kommen?« Das Mädchen nickt immer weiter, lässt aber nicht erkennen, ob es verstanden hat oder zustimmen will. Schließlich zerstreuen sich die Männer, und Jasu kommt zu Kavita und dem Mädchen. »Ich denke, wir sollten sie nach Hause bringen«, sagt Kavita, die ihr endlich die Adresse entlocken konnte. Jasu nickt und tritt an den Straßenrand, um ein Taxi anzuhalten.
    »Alles in Ordnung?«, fragt Kavita Jasu. Bis jetzt haben sie auf der Heimfahrt geschwiegen, nachdem sie das Mädchen nach Hause gebracht haben. Jasu hat mit dem Aufzugführer in dem Gebäude geredet, wo sie wohnt, und der hat ihm versprochen, sie sicher nach oben zur Wohnung ihrer Eltern zu begleiten.
    » Hahnji «, sagt er tonlos. »Ich habe bloß nachgedacht … das arme Ding war so schutzlos, und diese Männer haben einfach … Wenn wir nicht vorbeigekommen wären, was

Weitere Kostenlose Bücher