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Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
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wäre dann aus ihr geworden?«
    »Es war richtig, was du getan hast. Es war mutig von dir.« Kavita legt ihm eine Hand auf den Arm.
    »Was heißt schon Mut? Es war reiner Zufall, dass wir da waren. Reiner Zufall …« Er verstummt wieder, schüttelt dann den Kopf. »Egal. Die Sache ist vorbei. Ich hoffe, das hat dir nicht den Abend verdorben.«
    » Nai «, sagt sie und lächelt ihn an. »Überhaupt nicht.« Kavita spricht nicht aus, was sie denkt, wie schön es war, den zarten Körper des Mädchens in den Armen zu halten, bis er nicht mehr zitterte, ihr die Tränen abzuwischen und über das lange Haar zu streichen. Ihr im Taxi leise etwas vorzusingen, so wie ihre Mutter ihr früher immer vorgesungen hat. Wie sie in ihrer Fantasie ihrer eigenen geheimen Tochter vorgesungen hat.

30
Ein Teil von ihr
    Menlo Park, Kalifornien – 2004
Somer

    Somer steht nach dem Abendessen an der Spüle, glitschige gelbe Handschuhe bis über die Unterarme gezogen, und freut sich über die quirlige Lebendigkeit, die gleich an Ashas erstem Abend zu Hause wieder Einzug gehalten hat. Ihre Tochter hat ihr zweites Jahr an der Brown University hinter sich und bleibt die Sommerferien über. Dennoch ist Somer zögerlich, unsicher, wie es sich anfühlen wird, wieder eine Familie zu sein. Asha hat gleich von Anfang an klargemacht, dass sie sich jetzt für unabhängig hält – sie wollte selbst die schmutzige Wäsche waschen, die aus ihrem Koffer quoll, und hat ihren Laptop in einer ruhigen Ecke ihres Zimmers aufgebaut.
    Somer und Krishnan haben endlich ein Gleichgewicht gefunden, versuchen, einander viel Raum zu lassen und Konflikte zu vermeiden. Sie bleiben auf sicherem Boden und ziehen sich zurück, wenn sie den kleinsten Riss unter den Füßen spüren. Früher haben sie ganz offen gestritten. Es fing fast unmittelbar nach Ashas Auszug an. Als sie nicht mehr im Haus war, konzentrierte sich ihre gemeinsame Energie nicht mehr auf sie, ermahnte sie nichts mehr, sich wie vorher, im Beisein ihrer Tochter, gut zu verhalten. Sie stritten sich über die unzähligen täglichen Entscheidungen, die plötzlich nur sie allein betrafen. Somer war nicht auf die totale Stille gefasst, die sich ohne Ashaim Haus breitmachte. Aus Ashas Zimmer kam keine Musik mehr, ihr Lachen hallte nicht mehr durchs Haus, wenn sie stundenlang telefonierte. Was Somer vermisste, waren die kleinen Momente – sich an der Haustür verabschieden, abends noch mal kurz den Kopf in Ashas Zimmer stecken –, Augenblicke, die das Familienleben ausmachten und ihr das Gefühl eines erfüllten Tages gaben. Nachdem Asha so viele Jahre der Mittelpunkt ihres Lebens gewesen war, fühlte Somer sich ohne sie verloren. Krishnans Leben hatte sich dagegen nicht großartig verändert: Er war meistens mit Arbeit eingespannt, verbrachte die Vormittage im Operationssaal und die Nachmittage in seinem Büro.
    Kris, der jetzt mit Asha am Tisch sitzt, deutet mit einem Schnippen auf eine Seite in der Zeitung. »Was für ein unfassbarer Unsinn. Da streiten die in Florida noch immer um diese Geschichte – wollen die arme Frau weiter mit der Magensonde am Leben halten. Die Frau ist seit zehn Jahren hirntot, und die wollen sie nicht in Frieden sterben lassen.« Er nimmt die Brille ab, haucht laut auf die Gläser und putzt sie mit einem Taschentuch.
    »Glaubst du wirklich, sie ist hirntot?«, fragt Asha und nimmt ihm die Zeitung weg.
    »Ja, tue ich. Aber das ist unerheblich.« Er hält die Brille ins Licht und setzt sie sich, endlich zufrieden, wieder auf die Nase. »Die Entscheidung liegt bei den Angehörigen und dem Arzt.«
    »Und wenn sie sich nicht einigen können?«, fragt Asha. »Ihre Eltern wollen sie am Leben halten, und ihr Mann will das nicht.«
    »Aber ihr Mann ist ihr Vormund«, antwortet Kris. »Irgendwann ist die Familie, die du gründest, wichtiger als die, in die du hineingeboren wurdest.« Er schüttelt den Kopf. »Hört mal, ich sage das jetzt euch beiden, sollte ichmich je in einem bleibenden vegetativen Zustand befinden, habt ihr meine Erlaubnis, die Geräte abzuschalten.«
    »Besteht denn absolut keine Chance, dass sie doch noch geheilt wird?«, fragt Asha.
    Er schüttelt den Kopf. »Es sei denn, ihr wächst ein neues Gehirn. Und jetzt wollen sich die Politiker auch noch in die Stammzellenforschung einmischen.«
    Somer beobachtet von der anderen Seite der Küche aus, dass es Asha offensichtlich Spaß macht, mit Kris lebhaft zu diskutieren. Sie ruft: »Wie wär’s heute Abend mit einem Puzzle?

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