Geheimnis des Feuers
Sofia.
Immer seltener dachte Sofia daran, dass es eigentlich José-Marias Laken war. Maria wollte das Kleid ständig tragen. Sogar wenn sie draußen auf dem Acker war. Dann rollte sie es über den Beinen auf und wickelte ihre Capulana darum herum.
Weitere Mondumläufe vergingen.
Jeden Morgen liefen Sofia und Maria zu den Frauen auf den Äckern. Bald war es Zeit, den Mais zu ernten. Die Pflanzen standen schon hoch.
Sie spielten, während sie liefen. Hüpften auf beiden Füßen, versuchten die Steine nicht zu berühren, die aus dem Boden ragten. Sie hatten immer viel Spaß.
Eines Morgens, als es in der Nacht geregnet hatte und die rote Erde auf dem Pfad noch feucht war, hatte Sofia die Idee, dass sie abwechselnd mit geschlossenen Augen laufen sollten. Um herauszubekommen, ob das überhaupt ging, versuchte sie es. Sie lief einige Meter mit geschlossenen Augen. Maria war dicht hinter ihr. Es war nicht schwer. Sie probierte es noch einmal aus. Noch ein letztes Mal wollte sie es ausprobieren. Dann wollte sie Maria mitspielen lassen.
Vielleicht kam es daher, weil die Erde feucht war. Jedenfalls stolperte sie und taumelte einige Schritte. Maria war dicht neben ihr. Sofia öffnete die Augen und sah, dass sie nicht mehr auf dem Pfad war. Vielleicht war das Spiel doch schwerer, als sie gedacht hatte.
»Was machst du?«, fragte Maria, die auf dem Pfad dicht neben ihr stand.
»Nichts«, sagte Sofia. »Ich spiele.«
Sie hüpfte auf dem linken Fuß.
Dann setzte sie den rechten Fuß auf, um einen Schritt zum Pfad zurückzumachen.
Da wurde die Erde in Stücke gerissen.
5.
Hinterher war alles sehr still.
Sofia dachte, sie läge in einem Ameisenhaufen und Tausende von wütenden Ameisen bissen und rissen an ihrem Körper. Es war ein Gefühl, als ob sie auch im Bauch Ameisen hätte, im Kopf, in den Beinen. Sie lag auf der Seite, sie konnte nicht richtig sehen und die Schmerzen waren so groß, dass sie nicht einmal schreien konnte. Maria lag einige Meter von ihr entfernt, vornübergefallen, halb in einem Gebüsch. Sofia dachte, ihr weißes Kleid sei weg, über das sie sich so gefreut hatte. Jetzt hingen nur noch einige zerrissene Fetzen Stoff um ihre Taille. Sie waren nicht mehr weiß. Sie waren rot. Sofia begriff, dass es Blut war. Wieder versuchte sie zu schreien, nach Maria zu rufen, nach Mama Lydia. Sie spürte, wie sie fiel, die Ameisen bissen und zerrten an ihrem Körper und dann versank sie in einer endlosen Dunkelheit.
José-Maria stand mit einer Tasse Kaffee da und wollte sie gerade zum Mund führen, als er die gewaltsame Explosion hörte. Er wusste sofort, was passiert war. Jemand war auf eine Mine getreten. Sein Gesicht verzerrte sich vor Angst. Er nahm sich nicht einmal Zeit die Kaffeetasse abzustellen, er warf sie einfach von sich. Dann öffnete er die Tür und lief in die Richtung, aus der der Knall gekommen war. Es war irgendwo unten am Fluss, in der Nähe der äußersten Äcker. Während er lief, rief er Menschen, denen er begegnete, zu, sie sollten die Nonne mit Namen Rut holen. Sie war Krankenschwester. Er lief, so schnell er konnte. Es war schon warm, obwohl es gerade erst sechs Uhr war. Das Herz in seiner Brust raste und im tiefsten Innern fürchtete er sich vor dem, was er zu sehen bekommen würde.
Er kam nicht als Erster an dem Ort an. Die Frauen waren von den Äckern angelaufen gekommen und er konnte hören, wie sie schrien.
Es ist eine von ihnen, dachte er. Aber warum hat sie den Pfad verlassen? Sie wissen doch, dass es hier Minen gibt. Er merkte, dass er fast wütend wurde. Als er die Stelle erreichte, packten ihn mehrere Frauen und versuchten ihm zu erklären, was passiert war. Aber er verstand nicht, was sie sagten, er drängte sich zwischen sie und blieb jäh stehen.
Was er sah, brachte ihn zum Weinen. Es waren die beiden Mädchen, die einander so auffällig ähnlich waren, die Sofia und Maria hießen. Er beugte sich über das Mädchen, das mitten auf dem Pfad lag, er dachte, es sei Sofia, aber er war nicht ganz sicher. Er fiel auf die Knie und breitete die Arme aus.
Vor ihm lag ein blutiger Klumpen. Er sah kaum noch aus wie ein Kind, es war nur Blut, zerrissene Glieder und zerfetzte Kleider.
Doch er merkte, dass sie atmete. Er schrie den Frauen zu, sie sollten still sein, und befahl ihnen, die Mutter der Mädchen zu suchen. Inzwischen waren auch einige Männer gekommen. »Wo ist Schwester Rut?«, schrie er.
»Zieht eure Hemden aus, sucht Äste zusammen, bindet die Hemden darum, sodass wir
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