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Geheimnis des Feuers

Geheimnis des Feuers

Titel: Geheimnis des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Raul. »Wenn man mit etwas nicht allein fertig wird, muss man um Hilfe bitten«, sagte Sofia.
    Sie winkte wieder mit der Krücke. Ein Auto hielt hinter ihnen an. Ein Mann stieg aus und fragte, was passiert sei. Dann wechselte er den Autoreifen. Sofia guckte interessiert zu. Falls sie noch öfter in Doktor Rauls altem Auto mitfahren würde, war es das Beste, wenn sie lernte, wie man einen kaputten Reifen wechselt. Doktor Raul wollte den Mann bezahlen. Aber der breitete nur die Arme aus und lachte mit seinem schwarzen, verschwitzten Gesicht. »Vielleicht darf ich Sie einmal operieren«, sagte Doktor Raul.
    »Lieber nicht«, antwortete der Mann erschrocken. »Ich bin nicht krank.«
    Sofia setzte sich wieder auf den Rücksitz. Der Mann half das Auto anzuschieben.
    Bald hatten sie Boane erreicht und bogen von der Hauptstraße ab. Sie überquerten den Fluss Impamputo. Die Brücke war schmal und Doktor Raul musste warten, bis eine Ziegenherde sie passiert hatte. Sofia sah Kinder im Wasser spielen. Ein wenig entfernt stand ein nackter Mann und wusch sich. Beim Brückenkopf waren einige Frauen dabei, Kleider zu waschen. Sofia sah alles, was geschah, und dachte: Das kann ich tun. Das kann ich tun. Und das. Und das.
    Eigentlich gab es nur zwei Sachen, die sie nie mehr würde tun können: tanzen und rennen.
    Das machte sie traurig. Vor allem, dass sie nie mehr würde tanzen können. Rennen war nicht so wichtig. Aber niemals mit den anderen Frauen im Kreis stehen und tanzen zu können.
    Da war noch ein Gedanke in ihrem Kopf, ein Gedanke, den sie fast nicht zu denken wagte. Was würde passieren, wenn sie erwachsen war? Würde es einen Mann geben, der sie heiraten wollte? Obwohl sie künstliche Beine hatte? Obwohl sie nicht tanzen konnte? Würde sie Kinder bekommen? Oder würde sie ihr ganzes Leben kein Kind auf ihren Rücken gebunden tragen? Den Gedanken wollte sie nicht denken. Es war, als ob sie das Schicksal herausforderte sich dem auszusetzen, was sie befürchtete.
    Sie hatten den Fluss hinter sich gelassen. Der Weg war jetzt voller Schlaglöcher und sehr schmal. Doktor Raul hatte die Autofensterscheibe hochgekurbelt, damit der aufwirbelnde Staub nicht hereindrang. Sofia dachte daran, dass sie diesen Weg einmal in die entgegengesetzte Richtung gefahren war, ohne dass sie sich daran erinnern konnte. Damals war das Unglück passiert. Sie dachte, dass sie viele Fragen hatte, auf die sie eine Antwort wollte. Es gab noch so viel, was sie nicht wusste. Sie erreichten den Dorfrand.
    »Jetzt musst du mir den Weg zeigen«, sagte Doktor Raul. »Hier kenne ich mich nicht aus.«
    Sofia erklärte ihm, wie er fahren musste. Bald waren sie da. Aber zu Sofias Enttäuschung war niemand zu Hause. Eine der Nachbarinnen kam Sofia begrüßen. Sie fragte nach Alfredo. Dass Mama Lydia draußen auf den Äckern arbeitete, wusste sie ja.
    »Alfredo ist heute bei deiner Mama«, sagte die Nachbarin.
    Doktor Raul stand neben dem Auto und betrachtete nachdenklich die Hütte, in der Sofia wohnte. Er sah die gerissenen Strohwände und dachte, wenn der Regen kam, dann würden sie auf dem feuchten Erdboden liegen und der Regen würde durch das schadhafte Dach tropfen. Sofia gehörte zu einer armen Familie, der ärmsten unter den Armen. Trotzdem wusste er, dass sie froh war wieder zu Hause zu sein.
    Sofia ist stark, dachte er. Sie wird es schaffen. Dennoch spürte er Wehmut, wenn er an das Leben dachte, das vor ihr lag. Ein Leben voller Entbehrungen. Das Leben der Armen.
    Er verabschiedete sich von Sofia.
    »Hoffentlich geht jetzt alles gut«, sagte er. »Wenn ich Zeit habe, werde ich dich besuchen.«
    Sofia wurde verlegen und schlug die Augen nieder. Sie schämte sich fast, dass sie Doktor Raul so viele Umstände bereitet hatte. Er war gezwungen gewesen, über sie gebeugt zu stehen und sie zu operieren.
    Bestimmt kannte er viel wichtigere Personen, um die er sich kümmern musste. Sie winkte ihm nach, als er fuhr, und fragte sich, ob sie ihn wieder sehen würde.
    Für den Rest des Tages saß Sofia im Schatten unter dem Baum neben der Hütte und genoss es, wieder zu Hause zu sein. Hin und wieder blieb jemand auf dem Weg stehen und sah sie an, als ob er seinen Augen nicht traute. Dann kamen sie zu ihr und sie musste wieder und wieder erzählen, was passiert war, und ihre Beine zeigen. Jedes Mal, wenn wieder jemand hören wollte, was nach dem Unglück passiert war, merkte sie, dass sie immer weniger erzählte. Ihr wäre es am liebsten gewesen, wenn die Menschen

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