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GEHEIMNISSE DER NACHT

GEHEIMNISSE DER NACHT

Titel: GEHEIMNISSE DER NACHT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MAGGIE SHAYNE
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Vorderhufe in den Boden und begann, laut und anhaltend zu blöken. Es klang wie ein Schrei in der Nacht.
    Ich hätte das Tier loslassen sollen. Aber der Stolz eines jungen Mannes nimmt sich manchmal zu wichtig, und in mir war er begleitet von Wut und Zorn und Frustration.
    Also zog ich weiter an der Leine und zerrte das Tier durch saftige grüne Gräser, die feucht vom Tau der Nacht waren. Es bockte, zerrte und schüttelte seinen ruppigen Kopf von einer Seite zur anderen und blökte lauthals weiter.
    Der Bauer rief nicht, er befahl mir nicht, stehen zu bleiben oder die Ziege loszulassen oder irgendetwas anderes. Ich wusste nicht einmal, dass er aus seinem Haus gekommen war. So stillschweigend kam der Tod in dieser Nacht zu mir. Erst verfluchte ich noch den störrischen Bock, zerrte und drehte ihn, mit dem Seil über der Schulter und dem Tier hinter mir. Im selben Moment lag ich auch schon mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, und in meinen Ohren dröhnte der Gewehrschuss, der wie aus dem Nichts gekommen war.
    Es war unfassbar, wie schnell und einfach das alles geschah. Ohne Ankündigung, ohne Theater. Der Bauer hatte einfach den Abzug an seinem Gewehr betätigt und mit einem ohrenbetäubenden Knall eine Bleikugel in meinen Rücken gejagt.
    Der Schock und der Schmerz wüteten in den Sekunden, nachdem ich zu Boden gefallen war, in mir. Ich fühlte einen Augenblick lang das Feuer der Kugelbahn und dann, wie ein Schwall von warmem Blut meine Kleider tränkte. Doch danach spürte ich etwas viel Beängstigenderes als den Schmerz.
    Taubheit.
    Es begann an meinen Füßen, wenn ich mich richtig erinnere. Und ich war mir dessen nicht bewusst, während es geschah, erst später, als ich die Schritte des Bauern näher kommen hörte. Ich merkte, dass ich mich nicht bewegen konnte, meine Füße nicht mehr spürte. Innerhalb kürzester Zeit breitete sich die Taubheit in mir aus und kroch meine Beine wie eine gleichmäßig steigende Flut hinauf. Dann meine Hüften, mein Becken, meinen Bauch. Sie stieg weiter, und der Schmerz, der wie Feuer in meinem Rücken brannte, verschwand. Er verschwand einfach.
    Ich fühlte nichts mehr. Ich versuchte meine Arme zu bewegen, meine Beine, es war unmöglich.
    Ich keuchte vor Schreck auf, als mein Körper sich auf einmal umdrehte, denn ich hatte nicht gespürt, wie sich die Stiefelspitze des Bauern in meine Seite grub, um mich auf den Rücken zu wenden. Der Hass in seinen Augen, als er auf mich hinabstarrte, sein wettergegerbtes Gesicht, wie die Rinde eines alten Kirschbaumes, und sein weißer ungekämmter Schnurrbart – das alles nahm ich voller Angst in Sekundenbruchteilen wahr.
    „Diebisches Zigeunerpack.“ Er spuckte mich an, drehte sich um und ging dann mit seinem Ziegenbock davon.
    Nein, er hatte mich nicht umgebracht.
    Die Erleichterung darüber wurde schnell überschattet von dem Wissen, dass er es getan hätte. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, weil ich in den nächsten Minuten sowieso sterben würde. Ich konnte nicht spüren, wie sich unter mir eine Blutlache bildete, die immer größer wurde und das Gras rot färbte. Aber ich nahm wahr, wie das Leben sich aus meinem Körper stahl, spürte, wie ich langsam durch den Blutverlust immer schwächer wurde. Spürte, wie ich … starb.
    Ich hörte, wie seine Schritte sich entfernten. Hörte, wie die Tür seines maroden Hauses zuknallte. Und dann umgab mich das sanfte Geräusch des leise säuselnden Nachtwinds, der in den Bäumen flüsterte. Meinen Namen flüsterte.
    „Oh, süßer Dante“, drang eine Stimme aus der Nähe an mein Ohr. Nicht der Wind. Dieses Mal nicht. „Das Unglück ist viel schneller über dich gekommen, als ich gehofft hatte.“
    Ich blickte in die Richtung, aus der die Stimme kam. Meine Augen schienen der einzige Teil meines Körpers zu sein, der noch meinem Willen unterstand.
    Sarafina stand neben mir, von der Nacht eingerahmt wie ein düsterer Engel. Die schwarzen Wolkenfinger legten sich über die Sterne hinter ihr. Ich versuchte zu sprechen, aber meine Worte waren so leise, sie konnte sie nicht hören. Dann kniete sie sich nieder und beugte sich über mich, und mit dem letzten Rest Kraft, der noch in mir war, gelang es mir zu sprechen. „Sarafina … ich sterbe.“
    Ihre sanfte Hand strich mir das dunkle Haar aus der Stirn. „Nein, Dante. Du weißt genau, ich werde das nicht zulassen.“
    „A…aber …“
    „Still. Es ist fast Zeit.“ Sie blickte mich an, und ich fragte mich, was sie sah. „Du bist

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