Geheimnisvolle Beruehrung
Medialer, war in Silentium, schon von Kindesbeinen an dazu konditioniert, keine Gefühle zu haben. Der Weg zu Silentium war für Kaleb steinig und nicht immer gerade gewesen, doch schließlich war es ihm gelungen, einen kühl abwägenden, vollkommen rationalen Verstand zu entwickeln, der keinen Platz für Furcht oder Hoffnung, Wut oder Aufregung hatte.
Früher einmal hatte seine Konditionierung einen großen strukturellen Fehler gehabt, einen tiefen Riss in Silentium, doch damals war er noch ein anderer gewesen. Der Riss war durch unnachgiebige Härte versiegelt worden, der schwache Punkt hatte sich als die Stärke seines Silentiums erwiesen, doch hinter der Mauer lauerte noch immer der selbe Defekt.
Falls sich das jemals ändern sollte … auf jeden Fall war es für die Welt besser, wenn dieser Tag nie käme.
Kaleb wischte sich den Schweiß von der Stirn, stellte die Außenbeleuchtung heller ein und schraubte das Metallgeländer so fest, dass es selbst ein heftiges Erdbeben unbeschadet überstehen konnte. Er hatte zu lange gesucht, um seinen Fang nun durch Unachtsamkeit zu verlieren.
Trotz aller Konzentration war er mit einem Ohr immer bei seinem Gast. Manch einer hätte vielleicht behauptet, die Bezeichnung »Gefangene« würde es eher treffen, doch Worte spielten keine Rolle. Für ihn war nur wichtig, dass sie in greifbarer Nähe war.
Ein ohrenbetäubender Knall.
Kaleb war schon in ihr Zimmer teleportiert, ehe er das Geräusch bewusst wahrgenommen hatte.
2
Der Spiegel der Frisierkommode war zerschmettert, Teppich und Bett waren mit Glassplittern übersät. Die Frau auf dem Bett war aber anscheinend unversehrt, abgesehen von einem frischen Schnitt auf der Wange, aus dem Blut tropfte.
Neben dem Spiegel lagen die Scherben des Bechers, den sie auf ihn geworfen hatte, vergossener Tee zog eine rostrote Spur über die Kommode und den hellen Teppich auf den Holzdielen.
Kaleb fragte nicht nach dem Grund ihres Ausbruchs. »Bleib sitzen.« Die größten Scherben teleportierte er in die Recyclingtonne. Es gab einen Teleporter, der das Blut vom Teppich aufnehmen konnte, Kalebs eigene Fähigkeiten reichten sogar noch weiter. Er konnte eine Stadt mit einem Erdbeben verwüsten, konnte mit seinen Kräften ein Flugzeug vom Himmel holen oder eine Flutwelle auslösen – doch er konnte nicht jeden einzelnen winzigen Glassplitter entfernen.
»Du kannst nicht hierbleiben«, sagte er. »Erst muss das Zimmer gereinigt werden.«
In stiller Rebellion setzte sie sich ans Kopfende des Bettes. Sie zu etwas zu zwingen, hätte den Versuch torpediert, ihr Vertrauen zu gewinnen, deshalb verfiel er auf eine andere Lösung. »Warte.«
Sein Gast schnappte nach Luft und krallte sich im Laken fest, als das Bett hochgehoben wurde. Kaleb hielt die Möbel telekinetisch in der Luft und rollte den dicken Teppich zusammen, der den größten Teil des Bodens bedeckte. Auf den Dielen entdeckte er keine weiteren Scherben, suchte aber noch einmal jeden Zentimeter danach ab, bevor er den Teppich mithilfe eines im Kopf gespeicherten Bildes in den Brennofen der zentralen Müllverbrennungsanlage verfrachtete.
Zu viel Tee war verschüttet worden, und weder seine DNA noch ihre sollten in die falschen Hände geraten.
Nun musste er die Frau ebenfalls hochheben und das Bettzeug zum selben Brennofen schicken. Er setzte sie auf das leere Bett und holte einen Teppich aus dem Lagerraum im Keller. »Bemüh dich bitte, ihn nicht zu beschädigen«, sagte er, während er das Bett bezog. »Das ist handgeknüpfte Seide.«
Vor fünf Jahren hatte er den leuchtend blauen Teppich mit dem zarten Muster aus gebrochenem Weiß und dunklem Indigo gekauft. Die Firma hatte damals zum ersten Mal Gewinne abgeworfen, die selbst streng konservativ denkende Leute als weit über der Sicherheitsreserve betrachtet hätten. »Gibt es noch mehr, was du zerstören möchtest? Nur zu, dann kann ich die Scherben gleich beseitigen.«
Die Frau auf dem Bett starrte ihn an, und tat dann etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Sie nahm eine kleine Vase vom Nachttisch und zielte damit eine Handbreit über seinen Kopf. Er fuhr gerade rechtzeitig herum, um die Vase aufzuhalten, ehe sie den winzigen Sensor des Feueralarms traf.
Als sie ohne Unheil anzurichten vor dem roten Blinklicht schwebte, begriff er, was zu dem scheinbar irrationalen Verhalten geführt hatte. »Das ist keine Kamera. Und der Spiegel war auch nur ein Spiegel.« Natürlich würde sie ihm nicht glauben und den Sensor
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