Geheimprojekt Styx
es daher nicht um das übliche Männer-Gehabe geht.
„Ich werde mir darüber Gedanken machen“, sagte Boratto bloß und verschwand dann im Wohnzimmer und ließ Sanchez alleine auf der morgendlichen Terrasse. Sie nippte weiter an ihrem Mineralwasser und wartete auf den Anruf Baracks'.
Nach einigen Minuten trat ihre Mutter, Maria Sanchez, zu ihr. Sie wirkte etwas verschlafen und unterstrichen wurde dies durch den dampfenden Kaffee in ihrer Hand.
„Hey, Mum“, sagte Sanchez leise und schaute unverändert auf das Meer.
„Nadia“, erwiderte ihre Mutter und legte ihr einen Arm um die Hüfte. „Wann kommt eigentlich Michael zurück?“
Gute Frage, dachte Sanchez, ich weiß es nicht. Und ich vermisse ihn, habe seit Tagen nichts von ihm gehört.
Sie machte sich zwar keine Sorgen, noch zumindest nicht, doch die Sehnsucht war stärker als noch vor einigen Monaten. Vielleicht weil Hendricks gesagt hatte, sich aus dem operativen Bereich zurückzuziehen und sie endlich zu heiraten, vielleicht aber auch, weil sie dieses Gefühl bisher immer vor sich hergeschoben hatte.
„Wo ist er überhaupt?“, fragte Maria weiter.
„In der Arktis, führt dort seine letzte Operation durch.“
„In der Arktis?“
„Ja, frage mich bitte nicht, warum und wieso, doch er hat seine Gründe.“
Maria legte die Stirn in noch tiefere Falten und schien sich zu fragen, was für einen Schwiegersohn sie da wohl bekommen würde. Jemanden, der um die ganze Welt reiste, für Dinge, die niemand verstand? Oder niemand wusste?
„Ich würde ihn gerne kennenlernen, du hast ja gestern beim Abendessen eine ganze Menge von ihm erzählt, und nur Gutes. Daher frage ich mich, ob er wirklich so perfekt ist, wie du ihn beschreibst.“
Sanchez lächelte stolz. „Ja, Mum, ist er. Zumindest aus meiner Sicht. Natürlich hat Mike seine Eigenheiten und ganz pflegeleicht ist er auch nicht immer, aber das bin ich auch nicht. Davon abgesehen, ist er für jeden Spaß zu haben.“
Hendricks fragte sich, was die Wissenschaftler und Wartungstechniker wohl dachten, wer sie waren. Sie sahen aus, als stünden sie den Schergen des Teufels persönlich gegenüber. Natürlich war da in gewisser Weise etwas Wahres dran, schließlich sahen die fünf Männer wirklich gefährlich aus. Doch eigentlich sollte allein der Umstand, dass sie noch am Leben waren, genügen, um zu signalisieren, dass sie kein Killerkommando waren.
Doch sie waren vergleichbar vorgegangen. Sie hatten in mühseliger Arbeit jeden Raum durchsucht und die Männer und Frauen in der Kantine zusammengetrieben. Wirklichen Widerstand hatte zum Glück keiner geleistet, es musste also niemand mehr unnötigerweise sterben.
„Also“, sagte Hendricks gerade, der gegen den Schweiß ankämpfte, der sich unter seiner Winterkleidung ausbreitete. „Ich weiß, was Sie hier treiben, was Sie forschen. Und für wen Sie forschen. Ich werde Sie hier wegbringen lassen, die gesamte Anlage wird geschlossen. Wer Widerstand leistet, wird erschossen. Sie werden mit einem Hubschrauber abgeholt werden und schrittweise nach Grönland gebracht. Von dort aus können Sie dann fliegen, wohin Sie wollen.“ Hendricks sah in die Runde, sah in die Gesichter von Männern und Frauen unterschiedlichen Alters und Herkunft. Er war sich nicht sicher, ob das, was er hier machte, richtig war, ob er nicht doch sämtliche Spuren – auch die Forscher – vernichten sollte, doch seine moralische Vorstellung ließ das nicht zu. Diese Forscher waren wie die Bauern, die beim Schach geopfert wurden. Und dennoch ging von ihnen eine gewisse Gefahr aus.
Allerdings hatte er inzwischen einen präzisen Plan, wie er Arnold Rupo seine gesamte Macht nehmen konnte und dennoch einen internationalen Skandal vermied.
„Ihre Forschung war illegal, der Zweck menschenverachtend, moralisch mehr als verwerflich und außerdem wäre es Massenmord gewesen. Sollte ich jemals hören, dass einer von Ihnen wieder nach solchen Viren forscht, werde ich dafür sorgen, dass er nie wieder forscht. Haben Sie das verstanden?“
Ein kollektives, eingeschüchtertes Nicken war die Antwort. Er sah zu Brauer hinüber, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte, aber dennoch rasch genug seine Pistole würde ziehen können.
Sie hatten ihr Ziel erreicht. Die Forschungsanlage war gestürmt und lahmgelegt worden. Sie hatten genug Beweise, um ein jedes Verfahren vor jedem Gericht zu gewinnen. Nun galt es, den Kopf des Komplotts auszuschalten.
Und genau das hatte Hendricks vor.
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