Gehen oder bleiben? - Entscheidungshilfe für Paare
Partner so verteufelt, dass die Befriedigung darüber das vorher von diesem zugefügte Unrecht ausgleicht. Selbst wenn die Dämonisierung des Partners vorübergehend funktioniert, führt dieser Weg zur Eskalation: Das bisherige Opfer wird zum Täter. Die Vorstellung, selbst niemals so zu handeln, erhebt den verletzten Partner moralisch über den verletzenden Partner. Auch Wiedergutmachungsfantasien haben das Ziel, das angeschlagene Selbstbewusstsein wieder aufzurichten: Er oder sie ist einem etwas schuldig! Solche Fantasien helfen meist nur kurzfristig, verstricken einen aber immer tiefer in die Fantasien. Gekränkte Menschen halten oft unverständlich für Außenstehende an Beziehungen fest, in denen sie immer wieder aufs Neue verletzt werden. Das Festhalten an einer solchen Beziehung entsteht oft durch das Gefühl des abhängigen Partners, noch entschädigt werden zu müssen.
Kränkungen sind nahezu unvermeidlich
Niemand ist geschützt vor den Kränkungen, die im Zusammenleben mit dem Partner nicht ausbleiben. Prophylaktisch können wir uns um folgende Dinge bemühen, wovon die ersten beiden bereits in anderem Zusammenhang erwähnt wurden:
Nicht anklagende Kritik
Hierbei geht es darum, nicht nur den Partner anzuklagen, wenn dieser einen kränkt, sondern auch mitzuteilen, warum man an diesem Punkt so empfindlich ist und deshalb überreagiert. Dadurch kommt es zu einer Reaktionsverzögerung, die den Gegenschlag des Partners bremst. Darüber hinaus teilt man ihm noch etwas über sich selbst mit.
Zeitnahe Entsorgung des Grolls
Auf kleine Enttäuschungen, Unachtsamkeiten und Missverständnisse reagieren wir mit Ärger und Groll. Damit diese Gefühle die Stimmung nicht vergiften, gilt es diese zeitnah zu »entsorgen« und nicht auf dem Grollkonto anzuhäufen. Das ist das bekannte »reinigende Gewitter«.
Die Wunde des anderen schützen
Jeder Mensch ist in irgendeiner Weise verletzbar, hat einen wunden Punkt, den er zu schützen versucht. Wer sich schlecht behandelt fühlt, reagiert innerlich empört, wütend, sauer, jämmerlich, kämpferisch, sich selbst bemitleidend, rächend usw. Abwehrgefühle schützen aktiv vor tieferliegenden Verletzungen und »Wehgefühlen« aus der Vergangenheit. Den Partner mit seinen empfindsamen Seiten sehen können und diese nicht achtlos zu attackieren, schafft Vertrauen und führt zu weniger Gegenangriffen.
Trotz solcher Bemühungen kann es dennoch zu Kränkungen kommen. Wie kann man so damit umgehen, dass nicht noch mehr Schaden angerichtet wird? Gibt es einen richtigen Umgang mit Kränkungen? Ungünstig wirken sich aus:
Wir entscheiden uns für den Rückzug
Wir gehen zum Gegenangriff über
Wir bleiben passiv in der Opferrolle
Zeit allein heilt keine Wunden
Im Volksmund heißt es: Zeit heilt Wunden. Tatsache ist, die Zeit heilt keine Wunden. Aber damit Wunden heilen können, braucht es Zeit. Das trifft auch auf das Verzeihen und Vergeben zu. Oftmals sind wir zunächst nicht dazu bereit: Wir fühlen uns im Recht, sind wütend, traurig und finden das Verhalten unseres Partners unverzeihlich. Erleben wir indessen unsere ganze Beziehung nur unter dem Aspekt dieser Verletztheit und erlauben wir dieser, Mittelpunkt unseres Lebens zu sein, werden wir weder vergessen noch neue gute Erfahrungen machen, und dann heilt die Zeit keine Wunden. Neue Erfahrungen zu machen und das Schuldgedächtnis von negativen Erinnerungen zu befreien, sind wichtige Bausteine eines jeglichen Neuanfangs – mit oder ohne den alten Partner. Wenn wir nicht vergessen können, werden wir handlungsunfähig: Wir vergiften uns selbst und unsere Beziehung.
Man braucht Zeit, um sich mit einer Kränkung auseinanderzusetzen, sie zu verarbeiten und sie gedanklich und gefühlsmäßig richtig einzuordnen. Nach einer Zeit der Unversöhnlichkeit steht die Entscheidung an: Will ich mich versöhnen oder nicht? Nicht zu vergeben ist auch eine Entscheidung. Versöhnung ist nicht per se leichter. Jede der beiden Entscheidungen hat ihren Preis: dem anderen nicht zu vergeben, heißt bewusst einen Bruch der Beziehung oder zumindest eine große Abkühlung in Kauf zu nehmen. Umgekehrt fällt ein Vergeben auch nicht vom Himmel, sondern erfordert ein aktives Handeln. Den vermutlich höchsten Preis zahlen die Menschen, die sich weder für das eine noch das andere entscheiden: nicht der andere ist dann das wahre Opfer, sondern sie sind es selbst! Solange sie sich auf ihre Kränkungen konzentrieren, geben sie dem Menschen, der sie verletzt hat,
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