Gehetzte Uhrmacher
tatsächlich aufgestemmt worden war. Und dass der Betreffende sich dabei recht geschickt angestellt hatte.
Sie ging hinein und sah sich um. Im Wohnzimmer hing ein Großbildfernseher. In einer Vitrine stand eine Menge hübsches Porzellan. Das Silber war auch noch da. Und es war Sterlingsilber. Dieser Diebstahl ergab keinen Sinn. Hatten die Männer einfach irgendetwas geklaut, um über den wahren Zweck des Einbruchs hinwegzutäuschen?
Amelia kontrollierte das ganze Erdgeschoss. Das Haus war tadellos sauber – abgesehen von dem Kamin. Er war mit einem Gasbrenner ausgestattet, doch im Innern lag eine Menge Asche. Für einen solchen Kamin wurden weder Papier noch Zunder benötigt. Hatten die Männer hier etwas verbrannt?
Sie richtete den Strahl ihrer Taschenlampe in den Kamin und achtete darauf, dort nichts zu berühren.
»Weißt du noch, ob die Einbrecher ein Feuer angezündet haben?«
»Keine Ahnung. Kann sein.«
Vor dem Kamin gab es ein paar Schlammspuren. Im Kofferraum ihres Wagens führte Sachs einen Koffer mit der notwendigen Ausrüstung mit sich. Sie würde am Schreibtisch und am Kamin Fingerabdrücke nehmen sowie die Asche, den Schlamm und alle weiteren Beweisstücke eintüten, die sich als hilfreich erweisen könnten.
In diesem Moment vibrierte ihr Mobiltelefon. Sie schaute auf das Display. Eine dringende Nachricht von Lincoln Rhyme. Amelia wurde so schnell wie möglich in der Stadt gebraucht. Sie schickte eine kurze SMS zurück und schrieb, sie würde sich bald melden.
Was hatte man hier verbrannt?, fragte sie sich mit Blick auf den Kamin.
»Also«, sagte Greg. »Kann ich nun gehen?«
Sachs musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Ich weiß nicht, ob du dir dessen bewusst bist, aber die Polizei legt nach jedem Todesfall ein vollständiges Verzeichnis aller Gegenstände an, die sich im Haus des Verstorbenen befinden.«
»Ja?« Er senkte den Kopf.
»Ich werde in einer Stunde die Westchester County Police benachrichtigen und sie veranlassen, die Liste mit dem gegenwärtigen Inventar zu vergleichen. Falls etwas fehlt, werden sie mich verständigen, und dann nenne ich ihnen deinen Namen und rufe deine Eltern an.«
»Aber...«
»Die Männer haben nichts gestohlen, nicht wahr? Nachdem sie gegangen waren, bist du durch die Hintertür hier eingedrungen und hast dich bedient. Was hast du mitgenommen?«
»Ich hab mir bloß ein paar Sachen geliehen, das ist alles. Aus Todds Zimmer.«
»Mr. Creeleys Sohn?«
»Ja. Und eines der Nintendo-Spiele hat sowieso mir gehört. Er hatte es mir nie zurückgegeben.«
»Und die Männer? Haben sie etwas mitgenommen?«
Er zögerte. »Es sah nicht danach aus.«
Sie nahm ihm die Handschellen ab. »Bis in einer Stunde hast du alles zurückgebracht. Stell es in die Garage. Ich lasse die Tür offen.«
»Oh, ja, na klar. Versprochen«, sagte er atemlos. »Ganz bestimmt... nur...« Er fing an zu weinen. »Es ist bloß so, ich hab ein Stück Kuchen gegessen. Er stand im Kühlschrank. Ich kann... ich kaufe einen neuen.«
»Nahrungsmittel werden nicht verzeichnet«, sagte Sachs.
»Nicht?«
»Bring einfach alles andere wieder her.«
»Versprochen. Ehrlich.« Er wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht ab.
Der Junge wollte gehen.
»Eine Sache noch«, sagte Sachs. »Als du gehört hast, Mr. Creeley habe sich umgebracht, warst du da überrascht?«
»Äh, ja.«
»Wieso?«
Der Junge lachte auf. »Er hatte einen Siebener. Den ganz großen. Wenn jemand sich einen BMW leisten kann, begeht er doch nicht Selbstmord, oder?«
... Vier
Man konnte auf schreckliche Weise sein Leben verlieren.
Amelia Sachs hatte die meisten Varianten schon mal zu Gesicht bekommen, zumindest glaubte sie das. Und soweit sie sich erinnern konnte, waren sogar die grausamsten Todesarten nicht schlimmer als diese gewesen.
Sie hatte Rhyme aus Westchester angerufen und war von ihm auf schnellstem Wege nach Lower Manhattan beordert worden, wo sie die Schauplätze zweier Morde untersuchen sollte. Die Taten waren offenbar mit nur wenigen Stunden Abstand verübt worden, von einem Mann, der sich selbst als den Uhrmacher bezeichnete.
Den einfacheren der beiden Tatorte hatte Sachs bereits abgeschlossen – einen Pier am Hudson River. Es ging dort zügig voran; es gab keine Leiche, und die meisten Spuren waren weggespült oder durch den starken Wind verfälscht worden, der den Fluss entlangwehte. Amelia fotografierte und filmte den Ort aus allen möglichen Winkeln. Sie sah, wo die Uhr gestanden hatte – und ärgerte
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